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Geschichtensammlung

 

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1001

 

Illustration aus "Tausendundeiner Nacht"
Iran, 1853
Maler Sani ol-Molk (1814-1866)

 

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Geschichten in Deutsch

Weisheitsprüfung

            Missgünstiger Prinz und Weiser            

 

Vor langer Zeit lebte in einem Königreich ein weiser Mann, der vom Volk geliebt und verehrt wurde, und ein Prinz, dem die Zuneigung des Volkes nicht zuteil wurde. Der Prinz hasste den weisen Mann deswegen und setzte alles daran, ihn beim Volk in Misskredit zu bringen.

 

Taube
Carolinataube

Morgen, so dachte der Prinz bei sich, führe ich eine Echtheitsprüfung durch. Ich werde mich als Bauer verkleiden und eine Taube mitnehmen. Wenn der weise Mann auf dem Marktplatz mit dem Volk spricht, werde ich die Taube in meiner Hand halten und ihn fragen:

 

Weiser Mann! Ich frage dich, ist die Taube, die ich in meiner Hand halte, lebendig oder tot?

 

Wenn er antwortet, dass die Taube tot sei, so werde ich meine Hand öffnen und sie davonfliegen lassen. Sagt er jedoch, dass die Taube lebendig sei, so werde ich sie in meiner Hand zerquetschen und sie tot auf die Erde fallen lassen.

 

Ganz egal, welche Antwort er gibt, der weise Mann wird vor dem Volk wie ein Narr aussehen.

 

Als der weise Mann am nächsten Tag auf dem Marktplatz erschien und mit den Anwesenden zu sprechen begann, nahm
der Prinz, verkleidet als unscheinbarer Bauer, die Taube aus dem Käfig, hielt sie in seiner Hand verborgen und fragte mit lauter Stimme:

 

Weiser Mann! Lass' mich dir eine einfache Frage stellen. Ist die Taube, die ich hier in meiner Hand halte, lebendig oder tot?

 

Auf der Stelle verstummte das Stimmengewirr auf dem Platz. Es wurde ganz still. Alle Augenpaare wandten sich dem weisen Mann zu. Der hielt inne, sah zu der Menge, danach zum Prinzen und antwortete:

 

Das, was du in deiner Hand hältst, ist das, was du daraus machst!

Siehe auch: ► Rekontextualisierung undWeisheit und ► Intention

Wann endet die Nacht?

            Berühmte chassidische Erzählung            

 

Ein weiser Rabbi fragte seine Schüler:

Wie bestimmt man die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt?

Einer meinte:

Ich denke, es ist der Augenblick, sobald man einen Stock von einem Stein vor den eigenen Füßen unterscheiden kann.
Nein,

erwiderte der Meister.
Ein anderer meinte:

Es ist der Augenblick, wenn man einen Feigenbaum von einem Pfirsichbaum in der Ferne unterscheiden kann.
Nein,

antwortete der Rabbi.
Ein weiterer meinte:

Wenn man ein Pferd von einer Kuh in der Ferne unterscheiden kann.
Nein,

erwiderte der Rabbi.

Wann ist es dann? Sag‘ uns die Antwort,

baten die Schüler ihn.
Der Rabbi sagte:

Es ist der Augenblick,
wenn ihr in das Gesicht eines Mannes oder einer Frau seht und darin erkennt,
dass er euer Bruder ist, dass sie eure Schwester ist.

Solange euch das nicht gelingen mag, ist es unerheblich, wo die Sonne gerade steht,
denn die Nacht dauert an.
Siehe auch: ► Freundschaft

Reaktionen auf die Schau des siebten Himmels

Eines Nachts kam ein Engel zu vier Rabbinern auf Besuch.
Er weckte sie auf und trug sie auf seinen Schwingen in die siebte Kammer des Siebten Himmels.
Dort erblickten die vier Neuankömmlinge mit eigenen Augen das Heilige Rad von Hesekiel.
༺༻VerhaltenErläuterung
1.Irre werdenSchon auf dem Rückweg zu ihrem Heimatplaneten Erde verlor der erste Rabbiner seinen Verstand, denn sein Geist war so stark vom göttlichen Glanz geblendet worden, dass er fortan nur noch brab-
belnd durch die Lande irrte.
2.Verleugnung Der zweite Rabbiner zeigte sich unbeeindruckt und zynisch. Er verleugnete schlicht, was er im Siebten Himmel gesehen hatte. Abwinkend gab er gab zum Besten: Ach was, das haben wir doch bloß geträumt!
3.Fanatismus Der dritte Rabbiner entpuppte sich als fanatischer Eiferer.
Sein Terminkalender war voll. Er hielt Vorträge und Seminare über die Bedeutung und die Hintergründe seines Erlebnisses und argumentierte mit anderen Gelehrten.
4.Herzenspoesie Und der vierte Rabbiner wurde ein Dichter,
der am Fenster seines Zimmers saß und ein Danklied nach dem anderen verfasste über die Tauben im Kirschbaum, seine kleine Tochter in der Wiege und den mit Sternen übersäten Nachthimmel.
Er war der Einzige unter den vier Himmelsgästen, die Gott geschaut hatten, der es vermochte, sein Glück zu ertragen.
Inspiriert durch: ► Clarissa Pinkola Estes (*1945) US-amerikanische Jungsche Psychoanalytikerin, Posttraumaspezialistin,
Dichterin, Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte, Heyne Verlag, 8. Auflage 1. September 1997
Siehe auch: ► SchattenDankbarer DichterZynismusGlückGnadeGottVerrücktKulteDankbarkeit

 

Zur Abwehr der Zweifel wird die bewusste Einstellung fanatisch, denn Fanatismus ist nichts anderes als überkom-
pensierter Zweifel. Carl Gustav Jung (1875-1961) Schweizer Psychiater, Psychoanalytiker, Gründer einer neuen Denkschule der Tiefenpsychologie, Autor, Gesammelte Werke, Band 6. Psychologische Typen, Rascher, 10. revidierte Auflage 1967

Trugbilder – Synchronistische Geschichte

In einer alten Hindu-Schrift heißt es, dass Gott und ein Weiser namens Narada eines Tages durch eine gewaltige Wüste wandern. Narada fragt Gott:

O höchster Herr, was ist das Geheimnis des Lebens und der Trugbilder dieser Welt?
Gott lächelt und schweigt. Sie marschieren weiter.

 

Mein Sohn,

sagt Gott schließlich,

die Sonne scheint heute recht heiß, und ich bin durstig. Vor dir befindet sich ein Dorf. Geh hin und hole mir einen
Becher Wasser.

 

Narada macht sich auf den Weg. Er kommt in das Dorf und klopft an die Tür des ersten Hauses. Eine wunderschöne Frau öff-
net die Tür. In dem Augenblick, als Narada in ihre Augen blickt, vergisst er Gottes Befehl und den Grund, warum er in das Dorf
gehen sollte. Die Frau bittet Narada in das Haus, wo er von ihrer Familie auf das herzlichste begrüßt wird. Es ist, als ob jeder
in diesem freundlichen Haushalt ihn erwartet hätte. Narada wird eingeladen, mit der Familie zu speisen und die Nacht über zu
bleiben. Er nimmt freudig an, genießt die Gastfreundschaft der Familie und bewundert insgeheim die Schönheit der jungen Frau.

 

Morgen
Frühstückszeit, Hanna Pauli (1864-1940)

Es vergeht eine Woche, dann zwei. Narada beschließt zu bleiben, und schon bald übernimmt er einen Teil der Haushaltspflichten. Nach einem angemessenen Zeitraum bittet er um die Hand der jungen Frau. Die Familie hat nichts anderes erwartet. Alle sind höchst erfreut. Narada und sein junges Weib bleiben im Haus der Familie, wo sie ihm schon bald drei Kinder gebärt, zwei Söhne und eine Tochter. Jahre vergehen. Die Eltern seiner Frau sterben. Narada wird zum Hausherrn. Er eröffnet einen kleinen Laden im Dorf, der sehr gut läuft. Schon bald ist er ein angesehener Bürger der Gemeinde und ein geachtetes Mitglied des Gemeinderats. Narada geht auf diese Weise in den uralten Freuden und Sorgen des Dorfes auf und lebt viele Jahre in Zufriedenheit.

 

Eines Abends mitten in der Regenzeit bricht ein gewaltiger Sturm aus, und der Fluss steigt durch die plötzlichen Fluten so sehr an, dass er das Dorf überschwemmt. Narada sammelt seine Familie um sich und führt sie durch die dunkle Nacht auf eine Anhöhe. Aber der Wind bläst mit solcher Gewalt, und die Regenschauer sind so heftig, dass einer von Naradas Söhnen weggerissen wird. Narada will nach dem Jungen greifen und lässt dabei seinen anderen Sohn los. Kurz darauf reißt ihm ein Windstoß seine Tochter aus den Ar-
men, dann verschwindet auch noch sein geliebtes Weib in der donnernden Dunkelheit. Narada jammert hilflos und richtet sei-
ne geballte Faust gegen den Himmel. Aber seine Schreie werden von einer haushohen Welle übertönt, die aus den Tiefen der
Nacht aufsteigt und ihn kopfüber in den Fluss stürzt. Ihm wird schwarz vor Augen.

 

Viele Stunden, vielleicht Tage vergehen. Langsam und unter Schmerzen kommt Narada wieder zu sich. Er muss entdecken, dass er weit flussabwärts auf einer Sandbank gestrandet ist, fast nackt und halbtot. Es ist ein helllichter Tag und der Sturm hat sich gelegt. Nirgends entdeckt er ein Lebenszeichen von seinen Angehörigen oder anderen Lebewesen. Lange Zeit liegt Narada einfach nur auf dem Sand, fast verrückt vor Kummer und Einsamkeit. Trümmer treiben auf dem Fluss an ihm vorüber, und der Wind trägt den Geruch des Todes mit sich. Alles wurde ihm genommen; alle lebensspendenden und kostbaren Dinge sind in
den wirbelnden Fluten versunken. Es scheint, dass er nichts tun kann, außer zu weinen.

 

Plötzlich hört Narada hinter sich eine Stimme, die ihm das Blut in den Adern stocken lässt.

Mein Kind, wo ist mein Becher Wasser?,

fragt diese Stimme.

 

Narada dreht sich um und sieht Gott vor sich stehen. Der Fluss verschwindet, und er ist wieder mit Gott allein in der leeren Wüste.

Wo ist mein Wasser?,

fragt Gott erneut:

Ich warte jetzt schon mehrere Minuten.

 

Narada wirft sich dem Herrn zu Füßen und fleht um Vergebung.

Ich habe es vergessen!,

ruft Narada immer wieder.

Ich habe vergessen, worum Ihr mich gebeten habt, großer Herr! Vergebt mir!

 

Gott lächelt und sagt:

Verstehst du nun das Geheimnis hinter deinem Leben und den Trugbildern der Welt?

 

Quelle: ► Dr. Harry R. Moody, US-amerikanischer Direktor von "Academic Affairs for AARP", Washington, DC., assoziiert mit
   "International Longevity Center-USA" und "Senior Fellow of Civic Ventures", Sinnkrisen in der Mitte des Lebens.
   Spiritualität und Erfüllung – ein Prozeß in fünf Stufen
, S. 569 ff., Droemersche Verlagsanstalt, München, 1997

 

 

Siehe auch: ► Synchronizität und ► Illusion

Der Unternehmer und der Fischer

Ein erfolgreicher Firmeninhaber reagierte entsetzt, als er sah, wie ein Fischer mitten am Tag neben seinem Boot lag und ein Pfeifchen rauchte.

Fischer
"Warum sind Sie nicht unterwegs beim Fischen?"

fragte der Großindustrielle den Fischer.

"Weil ich für heute genug Fische gefangen habe."
"Warum fangen Sie denn nicht noch mehr Fische?"
"Was soll ich mit denen machen?"
"Verdienen Sie mehr Geld. Dann könnten Sie einen Motor an Ihr Boot montieren lassen und in tiefere Gewässer hinausfahren und noch mehr Fische fangen. Sie würden Ihnen mehr Geld einbringen. Damit könnten Sie Nylonnetze kaufen. Verstehen Sie, je mehr Fische, desto mehr Geld. Bald hätten Sie genug, um zwei Boote zu kaufen – sogar eine ganze Schiffsflotte. Dann könnten Sie genauso reich sein wie ich."
"Was soll ich dann tun?"
"Dann könnten Sie das Leben wirklich genießen."
"Was glauben Sie denn, was ich gerade mache?"

 

Quelle: ► Anthony de Mello SJ (1931-1987) indischer katholischer Jesuitenpriester, Psychotherapeut, spiritueller Lehrer, Autor,
Warum der Vogel singt. Weisheitsgeschichten, Herder, Freiburg im Breisgau, 1984, 3. Taschenbuchauflage 13. Juli 2005, 18. März 2019
See also: ► Stories

Auf der Suche nach dem Meer

Atlantik
Atlantischer Ozean, Leblon, Rio de Janeiro, Brasiien

Ein junger Fisch schwamm irgendwo im Meer. Als er einem anderen Fisch begegnete, fragte er ihn:

"Entschuldige bitte, du bist so viel älter und erfahrener als ich, vielleicht kannst du mir weiterhelfen. Sag' mir doch, wo ich die Sache finden kann, die man Meer nennt? Ich habe bisher überall vergeblich danach gesucht."
"Das Meer",

sagte der ältere Fisch,

"ist das, worin du jetzt gerade schwimmst."
"Das? Aber das ist doch nur Wasser. Ich suche doch das Meer!"

rief der junge Fisch enttäuscht und schwamm davon, um anderswo weiter-
zusuchen.

 

Quelle: ► Anthony de Mello SJ (1931-1987) indischer katholischer Jesuitenpriester, Psychotherapeut,
geistiger Lehrer, Autor, Gib deiner Seele Zeit, Herder, Freiburg, 1999, 6. Auflage Juli 2005

Die Schaulustigen und der Elefant

Elefant
Elefant, Krüger Nationalpark, Südafrika

Man hatte einen Elefanten zur Ausstellung bei Nacht in einen dunklen Raum ge-
bracht. Die Menschen strömten in Scharen herbei. Da es dunkel war, konnten die
Besucher den Elefanten nicht sehen und so versuchten sie, seine Gestalt durch
Betasten zu erfassen. Da der Elefant groß war, konnte jeder Besucher nur einen
Teil des Tieres greifen und es nach seinem Tastbefund beschreiben.

  1. Einer der Besucher, der ein Bein des Elefanten erwischt hatte, erklärte, dass der Elefant wie eine starke Säule sei;
  2. ein zweiter, der die Stoßzähne berührte, beschrieb den Elefanten als spitzen Gegenstand;
  3. ein dritter, der das Ohr des Tieres ergriff, meinte, er sei einem Fächer nicht unähnlich;
  4. der vierte, der über den Rücken des Elefanten strich, behauptete, dass
    der Elefant so gerade und flach sei wie eine Liege.

 

Quelle: ► Hamid Molana, iranisch-US-amerikanischer Dichter, Berater des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad
See also: ► Blind men discovering an elephant

Theoretiker und Wassergänger

Ein Theoretiker, der schwer WAS merkt und
ein Wassergänger, der sich schwer was merken kann

 

Derwische

Ein Derwisch spazierte an einem See entlang und hörte, wie jemand den Ruf der Derwische falsch rezitierte. Er sah es als seine Pflicht an, den Unglücklichen, der die Silben derart unstimmig betonte, zu be-
richtigen.
Also mietete er sich ein Boot und fuhr zu der Insel hinüber, von der die lauten Misstöne kamen. Es könnte sich um ja einen Derwisch handeln, der keinen Lehrer gehabt hatte, und wahrscheinlich sein Bestes tat, um sich mit der Sinngehalt hinter den Tönen in Einklang zu bringen.

 

Auf der Insel angekommen unterrichtete und berichtigte er seinen Mitbruder in der Kunst des Derwischrufs. Dieser bedankte sich dafür. Der Hilfreiche, ganz zufrieden mit seiner guten Tat, machte sich auf den Heimweg und dachte bei sich:

"Immerhin heißt es, dass ein Mensch, der die heiligen Formeln richtig rezitiert, sogar auf dem Wasser zu gehen vermag."

 

Während er so dachte, tauchte plötzlich eine seltsame Erscheinung vor ihm auf. Sein Derwischkollege von der Insel kam über das Wasser auf ihn zugelaufen.

"Bruder",

sagte jener zu ihm, als er nahe genug bei ihm war,

"verzeih mir, dass ich dich störe. Ich bin dir eigens nachgegangen, um dich zu bitten, mir nochmals zu erklären,
wie man den Spruch richtig aufsagt. Leider kann ich mir die Wiederholungen nur schwer merken."
Quelle: ► Sufi-Geschichte, nachempfunden einer Erzählung von
Idries Shah (1924-1996) persischer Autor der Sufitradition, spiritueller Lehrer
Siehe auch: ► Zen Geschichten

Übervolle Tasse

Ein Professor wanderte weit hinauf in die Berge, um einen bekannten Zenmönch aufzusuchen. Als der Gelehrte bei dem Weisen eintraf, stellte er sich höflich vor, nannte seine akademischen Titel und bat den Gottesdiener um Unterweisung.

Kaffee
Möchten Sie Tee?,

fragte der Mönch.

Ja, gern,

erwiderte der Professor.
Der alte Mönch schenkte Tee ein. Als die Tasse war voll, goss der Mönch weiter ein, bis der Tee überlief und sich als Lache auf dem Tisch ausbrei-
tete und auf den Boden tropfte.

Genug!,

rief der Professor.

Sehen Sie nicht, dass die Tasse schon voll ist? Es passt nicht mehr in sie hinein.

 

Der Mönch antwortete:

Genau so übervoll wie diese Tasse ist, sind auch Sie mit Wissen und Vorurteilen überfüllt.
Um Neues zu lernen, müssen Sie erst einmal Ihre Tasse leeren.

Allen Recht getan – eine Kunst, die niemand kann.

            Die Geschichte vom Vater, seinem Sohn und dem Esel            

 

Eines Tages wollten ein Vater und sein Sohn ihren Esel zum Markt bringen. Der Vater ritt auf dem Esel, den der Sohn führte.
Sie waren noch nicht weit gekommen, als ihnen ein Bauer begegnete und dem Vater zurief:

Der arme Junge! Wie kannst du als Erwachsener dieses Kind mit seinen kurzen Beinen so quälen! Hast du kein Herz,
du Egoist!
,
Eigentlich hat er recht,

dachte der Vater, stieg ab und ließ den Jungen auf dem Tier sitzen.

 

Bauer
Türkischer Bauer auf seinem Esel, Kappadokien, 1996

Nun schritt der Vater voran und führte den Esel.
Nach kurzer Zeit trafen sie ein altes Mütterchen, das seine Stimme erhob:

So eine Unverfrorenheit! Da sitzt der junge Bengel auf dem Esel und lässt seinen alten Vater nebenher laufen!

Der Junge nahm sich den Vorwurf sehr zu Herzen und bat seinen Vater, ebenfalls auf den Esel zu steigen.

 

So ritten sie eine Weile gemeinsam auf dem Tier, bis ein Fußgänger zu kreischen begann:

Was für eine Tierquälerei! Da reiten zwei Nichtsnutze dem armen Tier
den Rücken durch! Der Esel wird bald eingehen, wenn ihr ihn nicht schont!

Nun war guter Rat teuer!

 

Vater und Sohn beschlossen, den Esel zu tragen, damit er sich nach der großen Anstrengung wieder erholen konnte.
Nachdem sie ihn einige Meilen weit getragen hatten, gelangten sie endlich zum Markt. Dort brach ein lautes Gelächter aus.

So etwas Dummes haben wir noch nicht gesehen! Wozu tragt ihr den Esel spazieren, wenn er nichts leistet und keinen von euch trägt?,

wollten die Leute wissen.

Führt den Esel doch am Halfter hinter euch!,

rieten die Einen,

Sie können doch auch beide darauf reiten!,

riefen die Anderen.

Nein, das hält der Esel nicht durch, aber den Vater allein wird er wohl
tragen können.
Und das arme Kind soll sich wohl die Beine aus dem Leib laufen?
Nein, das Kind muss reiten, der Vater ist doch viel kräftiger.

 

Das lautstarke Debattieren auf dem Marktplatz nahm kein Ende und führte zu keinem brauchbaren Ergebnis. Viele glaubten zu wissen, wie dieses Dilemma am Besten zu lösen sei.

 

Schließlich blickte der Vater nachdenklich auf seinen Sohn und sprach:

Es ist offensichtlich belanglos, wie wir es anstellen. Es wird wohl immer jemanden geben, dem es nicht gefällt und der deswegen Anstoß daran nimmt. Wir machen ab nun genau das, was wir aus tiefstem Herzen und bestem Wissen und Gewissen für angemessen halten.

 

Siehe auch: ► Standpunkte

Ein Hund im Himmel

Ein alter Mann und sein Hund spazierten einen schmutzigen Weg entlang, der auf beiden Seiten eingezäunt war. Sie kamen zu einer Türe im Zaun und betrachteten das Grundstück dahinter. Dort gab es schöne Wiesen und Waldflecken, ein Paradies für einen Jagdhund mit Jäger.
Auf dem Schild stand zu lesen "Durchgang verboten". Daher setzten Hund und Herr ihren Weg fort.

 

Hund
Grosser Schweizer Sennenhund, Berner Sennenhund,
Appenzeller Sennenhund und der Entlebucher Sennenhund, Juli 2011

Sie kamen an ein schönes Tor, unter dem ein Wesen in weißer Robe stand.

"Willkommen im Himmel", sagte es.

Der alte Mann war glücklich und wollte geradewegs mit seinem Hund eintreten, doch der Türwächter hielt ihn auf.

"Hunde sind hier nicht erlaubt. Leider darf Ihr Hund nicht herein."
"Was für ein Himmel, in dem Hunde keinen Zutritt haben? Wenn er ausgeschlossen wird, bleibe ich mit ihm draußen. Er war sein ganzes Leben lang mein treuer Begleiter, deshalb werde ich ihn jetzt nicht einfach zurücklassen."
"Sie müssen wissen, was sie tun. Ich warne Sie vor dem Teufel. Er ist auf diesem Weg und wird versuchen Sie zu überreden, bei ihm einzukehren. Er wird Ihnen allerhand versprechen, doch auch bei ihm sind Hunde nicht willkommen. Wenn Sie Ihren Hund nicht zurück-
lassen wollen, bleiben Sie bis in alle Ewigkeit auf dem steinigen Weg."

 

Der alte Mann ging weiter mit seinem Hund.

 

Sie kamen an einen ramponierten Zaun ohne Tor, es gab lediglich ein Loch im Zaun. Ein alter Mann stand dahinter.

"Entschuldigen Sie, mein Hund und ich sind sehr müde. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir zu Ihnen reinkommen
und uns etwas in den Schatten setzen?"
"Aber nein, kommen Sie ruhig herein. Dort unter dem Baum ist auch etwas Wasser. Machen Sie es sich ruhig bequem!"
"Macht es Ihnen wirklich nichts aus, wenn ich meinen Hund mitbringe? Ein Wesen weiter unten an der Straße hat mir
gesagt, dass Hunde hier nirgends erlaubt sind."
"Würden Sie denn hereinkommen, wenn Ihr Hund draußen bleiben müsste?"
"Nein, mein Herr, deshalb bin auch nicht in den Himmel gekommen. Als ich erfuhr, dass dort Hunde nicht willkommen sind, beschloss ich, dass wir lieber bis in alle Ewigkeit auf dem Weg bleiben. Mit etwas Wasser und Schatten sind wir schon zufrieden. Ich trete hier auf keinen Fall ein, wenn mein geliebtes Tier draußen bleiben muss."

 

Der Mann lächelte und sagte:

"Willkommen im Himmel."
"Sind Sie sicher, dass hier der Himmel ist und Hunde erlaubt sind? Wie kommt dann, dass der andere Torwächter
sagte, dass Hunde nirgends erlaubt sind?"
"Das da unten war der Teufel, der alle Leute zu sich holt, die ein komfortables Leben haben möchten und bereit sind, den Begleiter ihres Lebens dafür aufzugeben. Später finden sie zwar heraus, dass sie einen Fehler begingen. Die Hunde kommen hierher, und die schlechten Menschen bleiben dort. Gott erlaubt nicht, dass Hunde aus dem Himmel verbannt werden. Er erschuf sie, um die Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Es ist Unsinn, Mensch und Tier im Jenseits zu trennen?"

Wer hat Recht? – Vereitelter Streit

Nasrudin wird zum Richter seines Dorfes ernannt. Wenn die Leute miteinander streiten, versucht er ihren Zwist zu schlichten. Eines Tages kommen zwei Männer zu ihm und bitten ihn um Rat. Der Erste beginnt von seinem Problem mit dem Nachbarn zu erzählen, was dieser gesagt und getan habe.
Springbrunnen
Fünf Wasserfontänen eines Springbrunnens

Der Hoca hört aufmerksam zu, denkt eine Weile nach und sagt:

"Du hast zweifelsohne Recht."

Da meldet sich auch der Zweite zu Wort. Er erzählt dem Hoca seine Sicht der Dinge über das, was der Nachbar getan und ge-
sagt habe.
Nasrudin lässt auch ihn zu Ende erzählen, wiegt dann bedächtig seinen Kopf und meint:

"Ja, du hast auch Recht."

Seine Frau im Nebenzimmer hört das, kommt zu ihrem Mann und flüstert ihm ins Ohr:

"Nasrudin, sie können nicht beide Recht haben. Sie haben einen Streit und du musst einem von ihnen recht geben."

Wieder überlegt Nasrudin eine Weile und sagt:

"Liebes, du hast Recht."

 

Orientiert an: ► Gregory M. Corrigan (1923-2009) US-amerikanischer Autor, Die Spiritualität der Unvollkommenheit, Lüchow, 1998

 

Zwei Altväter wohnten in einem Kellion1 und hatten sich nie jemals auch nur im Geringsten entzweit. Da sprach einmal der eine zum anderen:

"Wir wollen auch einmal einen Streit anfangen wie andere Leute."

Der andere aber sagte:

"Ich weiß nicht, wie ein Streit entsteht."

Jener antwortete:

"Sieh, ich lege hier einen Ziegelstein in die Mitte und sage: Er gehört mir. Darauf sagst du: Nein, er gehört mir! Und daraus entsteht dann Streit und Zank."

Und nachdem er den Stein in die Mitte gelegt hatte und sagte:

"Der ist mein und nicht dein!,

antwortete der andere:

"Ich glaube, er ist mein."

Hierauf sagte der erste wieder:

"Er ist doch mein und nicht dein!"

Da sagte der zweite:

"Wenn er denn dein ist, dann nimm ihn!"

Darauf hatte ihr Streit wieder ein Ende.

 

► Erzählung der Wüstenväter

Gespräch eines Zwillingspaars – Perspektivenwechsel

Zwillingsgespräch

 

           Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch der Mutter.           

 

Bild
La Charité, 1859
William-Adolphe Bouguereau, französischer Maler 1880
"Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?",

fragt der eine Zwilling.

"Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden stark für das, was draußen kommen wird",

antwortete der andere Zwilling.

"Ich glaub, das ist Blödsinn!",

sagte der Erste.

"Es kann kein Leben nach der Geburt geben – wie sollte das denn bitteschön aussehen?"
"So ganz genau weiss ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller sein als hier.
Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?"
"So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee.
Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz."
"Doch, es geht bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders."
"Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen nach der Geburt. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende. Punktum."
"Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Ich weiß jedoch, dass wir dann unsere Mutter sehen werden, und sie wird für uns sorgen."
"Mutter? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn, bitte?"
"Na hier – überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!"
"Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht."
"Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören.
Wir könnten auch nicht spüren, wenn sie unsere Welt streichelt."
Nach einer Vorlage von: ► Henry Nouwen (1932-1996) niederländischer römisch-katholischer Priester,
Theologe, Psychologe, geistlicher Schriftsteller
Siehe auch: ► Perspektive

Paradox der Entschleunigung

Eule
Till Eulenspiegel, Brunnenfigur in Magdeburg

Till Eulenspiegel ging eines schönen Tages mit seinem Bündel an Habse-
ligkeiten zu Fuß zur nächsten Stadt.
Auf einmal hörte er, wie sich schnell Hufgeräusche näherten und eine Kutsche
neben ihm anhielt. Der Kutscher hatte es sehr eilig und rief:

"Sag schnell – wie weit ist es bis zur nächsten Stadt?"

Till Eulenspiegel antwortete:

"Wenn Ihr langsam fahrt, dauert es wohl eine halbe Stunde. Fahrt Ihr schnell,
so dauert es zwei Stunden, mein Herr."
"Du Narr",

schimpfte der Kutscher und trieb die Pferde zu einem schnellen Galopp an und die Kutsche entschwand Till Eulenspiegels Blick.

 

Till Eulenspiegel ging gemächlich seines Weges auf der Straße, die viele Schlaglöcher hatte. Nach etwa einer Stunde sah er nach einer Kurve eine Kutsche im Graben liegen. Die Vorderachse war gebrochen und es war just
der Kutscher von vorhin, der sich nun fluchend daran machte, die Kutsche wieder zu reparieren.

 

Der Kutscher bedachte Till Eulenspiegel mit einem bösen und vorwurfsvollen Blick, worauf dieser nur sagte:

"Ich sagte es doch: Wenn Ihr langsam fahrt, eine halbe Stunde."
Quelle: ► Lothar J. Seiwert (*1952) deutscher Ratgeberautor, Wenn du es eilig hast, gehe langsam,
S. 21, Campus Fachbuch Verlag, Amazon.de Sonderausgabe 17. April 2003
Siehe auch: ► Paradox und ► Perspektive und ► Zeit

Es geschehe dir nach deinem Glauben.

Schloss
Turmwendeltreppe, Caernarfon Castle, Wales, ~1300

Einst fragte ein Schüler den arabischen Weisen Abd es Salam:

Was meinst du, wird aus mir werden?

Dieser antwortete ihm:

Alles, woran du glaubst, wird in Erfüllung gehen.

Der Schüler zog leichten Herzens von dannen, erlaubte sich einige Husarenstücken. Leider hat er so oft gefehlt, so dass er schließlich zum Tode verurteilt wurde.

 

Als er auf dem Schafott stand, kam Abd es Salam des Weges.

Du hast mich falsch beraten!,

rief der Verurteilte.

Ich glaubte, ich würde Kalif werden. Das ist nicht in Erfüllung gegangen!

Der Weise fragte:

Hast du wirklich daran geglaubt?

Der Verurteilte gab ungern zu, dass er es nicht geglaubt, sondern es sich gewünscht hatte. Er habe es jedoch im Innersten gar nicht für möglich gehalten.

Aber erst recht nicht habe ich geglaubt, dass ich auf dem Schafott enden würde!,

rief er.

 

Abd es Salam antwortete:

Doch, du hast es geglaubt. Nur hast du offenbar nicht bemerkt, dass du es geglaubt hast!

 

Die Moral von der Geschicht':
Nicht, was der Mensch sich wünscht, trifft eines Tages ein, sondern das, was er im Innersten glaubt.

Siehe auch: ► Glauben

Erfahrung der Stille

Eines Tages kamen Wanderer zu der Hütte eines Einsiedlers. Durstig baten sie ihn um einen Trunk Wasser.

Schilf

Der Mann der Stille ging mit ihnen zur Zisterne, um ihnen Wasser zu geben. Einer fragte den Einsiedler:

"Welchen Sinn siehst du in einem Leben der Stille?"

Noch mit dem Schöpfen des Wassers aus der tiefen Zisterne beschäf-
tigt, überlegte er und sprach:

"Schaut in die Zisterne, was seht ihr?"

Die Besucher blickten in die Zisterne:

"Wir sehen nichts",

sagten sie.
Dankbar tranken die Fremden die ihnen gereichten Becher mit Wasser leer.
Nach einer Weile forderte der Einsiedler die Besucher erneut auf:

"Schaut in die Zisterne! Was seht ihr?"

Sie blickten hinunter und sagten:

"Jetzt sehen wir uns selbst!"

Der Einsiedler sprach:

"Als ich vorhin Wasser schöpfte, war das Wasser aufgewühlt, und ihr konntet nichts sehen.

Jetzt ist das Wasser ruhig, und ihr seht euch selbst. Das ist die Erfahrung der Stille."

Inspiriert durch: ► Ludger Hohn-Morisch, deutscher Therapeut, Lektor, Herausgeber von Anthologien,
Für jeden Tag ein Stück vom Glück, Herder, Freiburg, 2004
Siehe auch: ► Stille

Missglückte Stilleübung

Vier Mönche beschlossen, zwei Wochen lang in Stille zu meditieren.
In der Abenddämmerung des ersten Tages fing die Kerze an zu flackern und schließlich verlöschte sie.
༺༻MitspielerAussageKommentar
1.Der erste Mönch sagte: "Oh nein! Die Kerze ist erloschen."Faktischer Hinweis
2.Der zweite Mönch sagte: "Hatten wir nicht beschlossen,
nicht zu sprechen?"
Suggestivfrage
3.Der dritte Mönch sagte: "Warum habt ihr beide das Schweigen gebrochen?"Warum-Frage
Vorwurf
4.Der vierte Mönch meinte lachend:"Ha! Und ich bin der Einzige,
der nicht gesprochen hat."
Überheblichkeit
Selbsttäuschung
Siehe auch: ► Stille und ► Stolz

Der Wanderer – Sufigeschichte

Ein Wanderer ist auf Zimmersuche in einer neuen Stadt. Er befragt den örtlichen Weisen:

Meister, wie sind die Menschen in dieser Stadt?
Wanderweg
Hiking trail in Argentina

Der Meister stellt ihm eine Gegenfrage:

Wie sind die Menschen in der Stadt, aus der du gezogen kommst?
Oh, dort waren alle Gesindel, Tagediebe und Hungerleider.

Der Weise rät dem Fremden:

Freund, ziehe weiter. Die Städter hier sind auch so.

 

Stunden später erscheint ein anderer Wohnungssuchender bei dem Weisen, um ihn zu fragen:

Meister, wie sind die Menschen in dieser Stadt?

Entgegnet der Weise:

Wie sind die Menschen dort, wo du bisher gelebt hast?

Antwortet der Wanderer:

Oh, Ich bin ungern weggezogen, weil dort alle so freundlich, hilfsbereit, herzensgut und zuvorkommend sind.

Rät ihm der Meister:

Freund, bleibe hier. Wir sind ebenso!

Auftrag erfüllt – Feinde ⇔ Freunde

Ming
Portrai des Kaisers Taizu der Ming Dynasty, China
Zhu Yuanzhang (1328-1398)

Ein König schickte seinen Feldherrn mit einem Trupp Soldaten
auf ein Schlachtfeld außer Landes. Sein Befehl an ihn lautete:

Vernichte meine Feinde!

 

Der Feldherr und das Heer waren ausgezogen, doch niemand im Reich hatte erfahren, was sie in der Ferne ausgerichtet hatten. Als der König nach vielen Monaten noch immer keine Nachricht bekommen hatte, schickte er einen Kundschafter aus, um die Lage im Kriegsgebiet zu überprüfen und ihm Bericht zu erstatten.

 

Im Feindesland stieß der Bote auf ein Lager, aus dem schon von Weitem das fröhliche Stimmengewirr eines Festes zu hören war. Der Feldherr und seine Soldaten saßen gemeinsam mit den Feinden des Königs an einem Tisch und feierten.

 

Der Kundschafter stellte den Feldherrn seines Königs zur Rede:

Ihr habt den Auftrag des Königs nicht ausgeführt!
Statt die Feinde zu vernichten, habt ihr euch mit ihnen verbrüdert.

 

Gelassen erwiderte der so gescholtene Feldherr:

Den Befehl des Königs haben wir sehr wohl ausgeführt.
Der Feind ist vernichtet UND
wir haben neue Freunde gewonnen!

 

Um deine Feinde auszumerzen, befreunde dich mit ihnen. Chinesische Weisheit

 

Siehe auch: ► Lösung
See also: ► Compliance to orders – Turning foes into friends

Schaumermal – Weisheitsgeschichte

            Wir werden sehen.            

 

Es war einmal ein Bauer, der besaß einen wunderschönen Hengst, und die Leute im Dorf sagten zu ihm:

»Welch ein Glück für dich!«

Doch der Bauer antwortete nur:

»Wir werden sehen.«

Eines Tages brach der Hengst aus, und die Leute im Dorf sagten:

Pferd
Pferde
»Welch ein Unglück für dich!«
»Wir werden sehen«,

antwortete der Bauer.
Der Hengst kehrte mit einem Dutzend wilder Pferde zurück, und die Leute im Dorf riefen aus

»Oh, welch ein Glück für dich!«
»Wir werden sehen«,

war alles, was der Bauer darauf erwiderte.
Als der Sohn des Bauern daran ging, eines der Pferde zu zähmen, warf es ihn ab und er brach sich dabei ein Bein.

»Oh, nun kann er dir nicht mehr helfen bei der Arbeit. Welch ein Unglück für dich!«
»Wir werden sehen«,

antwortete der Bauer ruhig.
Da kamen die Eintreiber des Zaren in das Dorf und zogen alle gesunden jungen Männer ein, damit sie in einem Krieg fern von der Heimat kämpfen. Der Sohn des Bauern wurde zurückgelassen, da sein Bein gebrochen war.

»Oh, welch ein Glück für dich!« ,

riefen die Dörfler.
Der Bauer gab gelassen zur Antwort:

»Wir werden sehen.«
Klee
Quelle: ► Chinesisches Märchen Als der alte Mann von der Großen Mauer sein Pferd verlor, präsentiert von sino-liedtke.de
Musikalische Referenz: ► Gesang von Paula Wessely und Andre Heller Wenn der Herrgott net will, präsentiert von dem
österreichischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ORF 2, YouTube film, 3:29 Minuten Dauer, eingestellt 18. Januar 2009
Siehe auch: ► Schaumermal und ► Gut-Böse

Der Diamant

Ein weiser Mann hatte den Rand seines Dorfes erreicht und ließ sich unter einem Baum nieder, um dort die Nacht zu verbringen, als ein Dorfbewohner angerannt kam und sagte:

"Der Stein! Der Stein! Gib mir den kostbaren Stein!"
"Welchen Stein?"

fragte der weise Mann.

"Letzte Nacht erschien mir Gott Shiwa im Traum",

sagte der Dörfler,

"und erzählte mir, ich würde bei Einbruch der Dunkelheit am Dorfrand einen weisen Mann finden, der mir einen kostbaren Stein geben würde, so dass ich für immer reich wäre."

Der weise Mann durchwühlte seinen Sack und zog einen Stein heraus.

"Wahrscheinlich meinte er diesen hier",

sagte der Weise, als er dem Dörfler den Stein gab.

"Ich fand ihn vor einigen Tagen auf einem Waldweg. Du kannst ihn natürlich haben."

Staunend betrachtete der Mann den Stein. Es war ein Diamant. Wahrscheinlich der größte Diamant der Welt, denn er war fast so groß wie ein menschlicher Kopf.
Er nahm schnell den Diamanten und ging weg. Die ganze Nacht wälzte er sich im Bett und konnte nicht schlafen.
Am nächsten Tag weckte er den weisen Mann bei Anbruch der Dämmerung und sagte:

 

"Gib mir den Reichtum, der es dir ermöglicht, diesen Diamanten so leichten Herzens wegzugeben."
Quelle: ► Günther Hager, österreichischer Dichter, Facebook-Eintrag, 20. August 2010

Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.

Zwei reisende Engel machten Halt, um die Nacht im Hause einer wohlhabenden Familie zu verbringen.
Die Familie war unhöflich und verweigerte den Engeln im Gästezimmer des Haupthauses auszuruhen. Anstelle dessen
bekamen sie einen kleinen Schlafplatz im kalten Keller zugewiesen.

Engel
Engel mit dem Schweißtuch, 2007
Statue auf der Sant'Angelo Brücke, Rom, Italien

Als sie sich auf dem harten Boden ausstreckten, sah der ältere Engel ein Loch in der Wand und reparierte es. Als der jüngere Engel ihn fragte,

"Warum tust du das?",

antwortete der ältere Engel:

"Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."

 

In der nächsten Nacht rasteten die beiden im Haus eines sehr armen, aber gastfreundlichen Bauern und seiner Frau. Nachdem sie das wenige Essen, das sie hatten, mit ihnen geteilt hatten, ließen sie die Engel in ihrem Bett schlafen, wo sie gut schliefen.
Als die Sonne am nächsten Tag den Himmel erklomm, fanden die Engel den Bauern und seine Frau in Tränen. Ihre einzige Kuh, deren Milch ihr alleiniges Einkommen gewesen war, lag tot auf
dem Feld. Der jüngere Engel wurde wütend und fragte den älteren Engel, wie er das habe geschehen lassen können?

"Der erste Mann hatte alles, trotzdem halfst du ihm",

meinte er anklagend.

"Die zweite Familie hatte wenig, und du ließest die Kuh sterben."

 

Der ältere Engel sagte:

"Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."
"Als wir im kalten Keller des Haupthauses ruhten, bemerkte ich, dass Gold in diesem Loch in der Wand steckte. Weil der Eigentümer so von Gier besessen war und sein glückliches Schicksal nicht teilen wollte, versiegelte ich die Wand, so
dass er es nicht finden konnte.
Als wir dann in der letzten Nacht im Bett des Bauern schliefen, kam der Engel des Todes, um seine Frau zu holen. Ich
gab ihm die Kuh anstatt dessen. Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.

Angst vor dem Unbekannten

Haustür
Haustür, Isfahan, Iran

 

            Die schwarze Tür zur Freiheit            

 

Ein Minister hatte seinem König lange Jahre treu gedient. Eines Tages aber wurde er wegen Hochverrats angezeigt und überführt, ihn erwartete die Todesstrafe. Der König gewährte ihm wegen seiner langjährigen Dienste die Gnade, seine Todesart zu wählen. Er führte ihn in einen Saal, wo die Hinrichtungswaffen lagen. Dort zeigte er ihm auch eine schwarze Tür.
Der Minister wählte eine der Todesarten. Die Königin fragte danach, was denn hinter der schwarzen Tür sei?
Der König antwortete:

"'Das große weite Land der Freiheit.
Da die Menschen Angst haben vor dem Unbekannten,
öffnen nur ganz wenige die schwarze Tür."
'

 

Quelle: ► Hildegunde Wöller (1938-2011) deutsche evangelische Theologin, kirchliche Rundfunkredakteurin,
Lektorin, Autorin, Meine Uhr geht nach dem Mond, S. 23, Kreuz-Verlag, Mai 1986
Siehe auch: ► Freiheit und ► Einsamkeit undAngst

Lebensmittekrise – die Verjüngung des Adlers

Adler werden normalerweise dreißig bis fünfzig Jahre alt. Der Legende nach kann er auch siebzig Jahre alt werden, wenn er in seinem vierzigsten Lebensjahr eine schwere, äußerst wichtige Entscheidung trifft.

 

Adler

Als der Adler vierzig Jahre alt war, begann die Schärfe seiner Krallen nachzulassen, weswegen er weniger geschickt war auf der Jagd nach Beutetieren. Sein Schnabel sah aus wie eine Sichel. Lang und krumm geworden, störte er beim Fressen, denn er berührte beinahe die Brust des Adlers. Sein Federkleid war derart dicht geworden, dass seine Flügel schwer wogen und ihm das Fliegen Mühe machte.

 

Der Adler konnte entweder auf den Tod warten oder sich entscheiden, eine schmerzliche Phase der Erneuerung zu durchlaufen.

 

Um sich zu verjüngen, musste er mit Mühe zu einem überhängenden Felsen fliegen, wo sich keine anderen Vögel oder Tiere aufhielten. Rund ein Jahr lang sollte er nun dort bleiben.

 

Zuerst musste er seinen Schnabel am Felsen abwetzen, bis er mit Haut und Horn vollständig abfiel. Er wartete geduldig, bis ihm ein neuer Schnabel nachgewachsen war. Diesen benutzte er als Meißel, um sich damit die Krallen von seinen Zehen auszuklopfen. Nachdem ihm neue Krallen nachgewachsen waren, rupfte er seine alten Federn aus. Nach fünf Monaten war ihm ein neues Federkleid gewachsen.
Nun konnte er wieder unbehindert fliegen, jagen und fressen. Er lebte noch weitere dreißig Jahre.

 

Seine Vergangenheit und überalterte Dinge und Gewohnheiten abzulegen, ist ein schmerzhafter Vorgang von Tod und Geburt, Erneuerung und Wiederbelebung.

 

⚠ Achtung: Die Geschichte ist eine Metapher des mythischen Vogels Phönix. Sie ist zoologisch nicht belegt.
Reference: ► Rebirth Of The Eagle Hoax
Siehe auch: ► Phoenix rising from the ashes

Drei Steinmetze

Fenster
Gotisches Fenstermaßwerk
mit hohen technischen Anforderungen
Kloster Bebenhausen

 

Ein Steinmetz wird gebeten:

Beschreibe deine Arbeit.

Er antwortet:

Ich behaue Steine.

Ein Kollege aus der Bauhütte wird gebeten:

Beschreibe deine Arbeit.

Er gibt zur Antwort:

Ich baue Mauern.

Ein Dritter in der Runde wird gebeten:

Beschreibe deine Arbeit.

Er sagt:

Ich baue an einem Dom.

 

Jede Form von Arbeit kann zum Bau eines Doms beitragen.

Siehe auch: ► Arbeit

Erkenntnisreise eines Steinhauers

Ein unglücklicher Steinmetz wünschte sich, ein anderer zu sein, mit einer anderen Position im Leben. Eines Tages kam
er an dem Anwesen eines reichen Kaufmannes vorbei. Der Steinmetz beneidete den reichen, von vielen geachteten Kauf-
mann und wünschte sich seinen Lebenstil zu übernehmen. Zu seiner Verwunderung verwandelte er sich schlagartig in einen
Kaufmann, der mehr Macht und Luxus besaß als er jemals zu träumen gewagt hätte. Doch die Armen beneideten und ver-
achteten ihn. Somit hatte er mehr Feinde als er es jemals für möglich gehalten hatte.

 

Dann sah er einen hohen Beamten, der von Dienern getragen und von Soldaten eskortiert wurde und vor dem sich alle ver-
neigten. Er war der mächtigste und geachtetste Mann im ganzen Reich. Und der ehemalige Steinmetz und jetzige Kaufmann
wünschte sich, wie jener hohe Beamte zu sein, Diener zu haben und Soldaten, die ihn bewachten, und mächtiger zu sein als
alle anderen. Auch dieser Wunsch wurde ihm gewährt. Er verwandelte sich in den hohen Beamten, der auch der am mei-
sten gefürchtete und gehasste Mann des Reichs war und nur deshalb so viele Soldaten zu seinem Schutz brauchte.

 

Stein
Österreichische Steinmetz-Münze im Wert von 500 Schilling

Die Sonne sandte stechende Strahlen zur Erde. Die Hitze war dem hohen Beamten sehr unangenehm, machte ihn mürrisch
und verdrießlich. Er schaute zur Sonne empor und sagte bei sich:

"Wie mächtig sie ist. Ich wünschte, ich könnte die Sonne sein."

Es dauerte nicht lange, da war er die Sonne, die auf die Erde schien. Doch dann schob sich eine große, dunkle Wolke vor
ihn und versperrte seinen Strahlen den Weg. Er dachte,

"Wie mächtig die Wolke ist. Ich wünschte, ich wäre so mächtig wie die Wolke."

Und so wurde er zur Wolke, die den Sonnenstrahlen den Weg versperrte und auf die Dörfer regnete. Doch ein starker Wind
kam auf und blies die Wolke fort.

"Ich wünschte, ich wäre so mächtig wie der Wind",

dachte er, und als er es aussprach, verwandelte er sich in den Wind. Doch der Wind konnte zwar Bäume entwurzeln und ganze
Dörfer verheeren, aber er konnte nichts gegen einen Stein ausrichten. Der große Stein rührte sich nicht von der Stelle, er widerstand der geballten Macht des Windes.

"Wie mächtig dieser Stein ist",

dachte der Wind.

"Oh, wie gern wäre ich so mächtig wie er."

 

Und er verwandelte sich in den großen Stein, der der geballten Kraft des Windes widerstanden hatte. Jetzt war er endlich glücklich, im Besitz der großen Macht auf Erden. Da hörte er ein Geräusch: klick, klick, klick. Ein Hammer trieb einen Meißel in den Stein und brach ihn Stück für Stück entzwei.

"Was könnte mächtiger sein als ich?",

fragte sich der Stein. Und siehe da, am Fuße des großen Steines, stand […] ein Steinmetz.

 

Viele Menschen suchen ihr Leben lang nach Glück und finden es nicht, weil sie es an der falschen Stelle suchen. Wenn man nach Osten schaut, sieht man den Sonnenuntergang nicht. Wenn man das Glück nicht in seiner eigenen unmittelbaren Um-
gebung sucht, findet man es nicht.

Freundschaft – in Sand und Stein

Zwei Freunde wanderten durch die Wüste. Während der Wanderung kam es zu einem Streit, und der eine schlug dem anderen im Affekt ins Gesicht.
Der Geschlagene war gekränkt. Ohne ein Wort zu sagen, kniete er nieder und schrieb folgende Worte in den Sand:

"Heute hat mich mein bester Freund ins Gesicht geschlagen."

 

Oman
Oasenlandschaft in Oman

Sie setzten ihre Wanderung fort und kamen bald darauf zu einer Oase. Dort beschlossen sie beide, ein Bad zu nehmen. Der Freund, der geschlagen worden war, blieb auf einmal im Schlamm stecken und drohte zu ertrinken. Geistesgegenwärtig rettete ihn sein Freund buchstäblich in letzter Minute.
Nachdem sich der Freund, der fast ertrunken war, wieder erholt hatte, nahm er einen Stein und ritzte folgende Worte hinein:

"Heute hat mein bester Freund mir das Leben gerettet."

Der Freund, der den anderen geschlagen und auch gerettet
hatte, fragte erstaunt:

"Als ich dich gekränkt hatte, hast du deinen Satz
nur in den Sand geschrieben, aber nun ritzt du die Worte in
einen Stein. Weshalb?"

Der gerettete Freund antwortete:

"Wenn uns jemand gekränkt oder beleidigt hat, sollten wir es in den Sand schreiben, damit der Wind des Verzeihens es wieder auslöschen kann. Wenn jemand jedoch etwas
tut, was für uns gut ist, dann können wir das in einen Stein gravieren, damit kein Wind es jemals löschen kann."

 

Urheber und Herkunft unbekannt

Siehe auch: ► Freundschaft

Jede Minute ist kostbar.

Mein Freund öffnete eine Schublade der Kommode seiner Frau und holte daraus ein kleines Paket hervor, das in Seide eingewickelt war: Dies ist nicht einfach ein Paket, darin ist feine Wäsche. Er betrachtete die Seide und die Spitze. Dies habe ich ihr vor acht oder neun Jahren in New York gekauft, ohne dass sie es je getragen hat. Sie wollte es aufbewahren, für eine besondere Gelegenheit. Nun ja, ich glaube jetzt ist der Augenblick gekommen. Er ging zum Bett und legte das Päckchen zu den anderen Sachen, die der Bestatter mitnehmen würde.

 

Uhr
Pendeluhr Ansonia, 1904

Seine Frau war gestorben.
Er drehte sich zu mir um und sagte:

Hebe niemals etwas für einen besonderen Anlass auf.
Jeder Tag, den du erlebst, ist besonders!

 

Ich denke oft an seine Worte, denn sie haben mein Leben verändert. Heute lese ich viel mehr als früher und putze weniger. Ich setze mich auf meine Terrasse und genieße den Blick in die Natur, ohne mich am Unkraut im Garten zu stören. Ich verbringe mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden und arbeite weniger. Ich habe begriffen, dass das Leben aus einer Sammlung an Erfahrungen besteht, die man zu schätzen wissen sollte. Außerdem schone ich nichts. Ich nehme die guten Kristallgläser jeden Tag, und ziehe meine neue Jacke zum Einkaufen im Supermarkt an, wenn mir danach ist. Ich hebe mein bestes Parfum nicht mehr für Festtage auf, sondern trage es, wenn ich Lust darauf habe. Sätze wie irgendwann und eines Tages habe ich aus meinem Wortschatz gestrichen. Wann immer es sich lohnt, will ich, was mir in den Sinn kommt, gleich sehen, hören und ausprobieren.

 

Ich weiß nicht, was die Frau meines Freundes getan hätte, hätte sie gewusst, dass sie morgen nicht mehr unter uns ist (ein Morgen, das uns einerlei erscheint). Ich denke, sie hätte ihre Familienangehörigen und ihre engen Freunde angerufen. Vielleicht hätte sie sich bei alten Freunden für einen Streit entschuldigt, der schon längere Zeit zurücklag. Ich stelle mir gern vor, dass sie chinesisch essen gegangen wäre (zu ihrem Lieblings-Chinesen).

 

Es sind die unscheinbaren, nie getanen Dinge, die mir leid täten, versäumt zu haben, wenn ich wüsste, dass meine Stunden gezählt sind. Ich wäre traurig, gute Freunde nicht mehr getroffen zu haben, mit denen ich schon so lange Kontakt aufnehmen wollte (… irgendwann, eben). Traurig, dass ich die Briefe nicht mehr geschrieben habe, die ich schreiben wollte irgendwann eben. Traurig, dass ich meinen Lieben nicht oft genug gesagt habe, dass ich sie liebe. Inzwischen verschiebe ich nichts mehr, bewahre nichts für eine besondere Gelegenheit auf, was ein Lächeln in unser Leben bringen könnte. Ich sage mir, dass jeder Tag ein besonderer Tag ist.

 

Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute ist kostbar.

 

Urheber und Herkunft unbekannt

Buddha durchschaut den Revolutionär.

Buddha hat nie gesagt, dass die Welt Leiden sei.
Er sagte: "Die Welt ist geistgemacht."
Buddha lehrte, dass das Ego-Mind des Menschen das Leiden hervorbringt.

 

Ein Revolutionär sagte zu Buddha:

"Die Welt leidet. Ich empfinde tiefes Mitleid und möchte der Menschheit dienen.
Sag' mir, was ich tun kann?"

Buddha betrachtete ihn und blieb stumm.

 

Sein Jünger Ananda schaltete sich ein:

"Dieser Mann scheint aufrichtig zu sein. Führe ihn. Weshalb schweigst du?"

Schließlich antwortete Buddha dem Revolutionär:

''Du möchtest der Welt dienen? Doch wo bist du?
Wenn ich in dich hineinschaue, sehe ich, dass niemand da ist. Du ruhst nicht in deiner Mitte.
Und solange du ohne Mitte bist, wirst du mehr Leiden erzeugen."

 

Siehe auch: ► Dienen und ► Buddha und ► Welt und ► Schmerz und ► Leiden und ► Echtheit

Kalif und Knecht – Verabredung mit dem Tod

Ein reicher und angesehener Kalif schickte einen seiner Knechte auf den Markt zum Einkaufen. Kurze Zeit später stand der Knecht mit leeren Händen, bleich und am ganzen Leib zitternd vor ihm. Er warf sich vor seinem Herrn auf die Knie und flehte
ihn an:

"Herr, ich muss fliehen! Leih mir bitte dein schnellstes Pferd! Ich muss schleunigst fort! Ich muss weg von hier, diesem schrecklichen Ort!"
"Bei Allah, was ist geschehen?",

entgegnete ihm der Kalif.

Mosaik
Totenkopf-Mosaik, Pompeji, Italien
"Er ist mir begegnet. Mitten auf dem Marktplatz traf ich ihn. Groß und schwarz stand er vor mir, mit einem breiten schwar-
zen Hut, der TOD! Angesehen hat er mich, und ich glaube, er wollte mich packen. Er hat es auf mich abgesehen. Ich bin ge-
rannt, so schnell ich konnte, um zu dir zu gelangen. Du allein kannst mir helfen. Leih mir dein schnellstes Pferd! Ich will nach Ashdod fliehen! Das ist eine Hafenstadt. Da gibt es Millionen Menschen. Da sind enge Gassen. Da werde ich mich ver-
stecken."

Der Kalif empfand großes Mitleid mit seinem verstörten Diener. Er lieh ihm sein schnellstes Pferd. Sein Diener jagte davon. Noch vor Einbruch der Dunkelheit wollte er Ashdod, die ferne Hafenstadt, erreichen. Dort konnte er vor dem Tod sicher sein.

 

Der Kalif aber war neugierig geworden. Ihn wunderte die Beschreibung des Todes, mehr aber noch die Vorstellung, dass der Tod seinen Diener absichtlich erschreckt habe. So entschloss er sich, zum Markt zu gehen, um den Tod zu treffen. Das bunte und geschäftige Treiben des Marktes nahm ihn augenblicklich gefangen. Es dauerte nicht lange, bis ihm Zweifel an der Schilderung seines Knechtes kamen.
Was sollte der Tod wohl mitten in der Hektik des alltäglichen Marktge-
schreis?
Doch dann sah er die Gestalt. Wie beschrieben, groß und schwarz, mit einem breiten schwarzen Hut. Er folgte der Gestalt.
Bald standen sie sich gegenüber. Es gab keinen Zweifel mehr, das war der TOD.
Der Kalif sah ihn an und fragte:

"Du hast heute morgen meinen Knecht erschreckt. Warum? Hattest du eine Verabredung mit ihm?"

Der Tod sah den Kalifen an, zuckte kurz mit den Achseln und sprach mit ruhiger Stimme:

"Nein Kalif, ich wollte deinen Knecht nicht erschrecken. Ich habe keinen Grund dafür. Eine Verabredung habe ich wohl mit ihm. Jedoch nicht heute, erst morgen. Allerdings nicht hier, sondern weit weg von hier in der Hafenstadt Ashdod. Es hatte mich sehr verwundert, deinen Knecht heute hier anzutreffen. Denn wie will es gelingen, bis morgen nach Ashdod zu kommen?"

Ringparabel aus dem Stück Nathan der Weise

Sultan Saladin2 lässt den weisen Juden Nathan zu sich rufen, um ihn zu fragen:

"Welche der drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) hältst Du für die wahre Religion?"

Nathan erkennt die ihm gestellte Falle:

  1. Erklärt er seine jüdische Religion zur "einzig wahren", wird Saladin das als Majestätsbeleidigung auffassen.
  2. Schmeichelt er hingegen dem muslimischen Sultan, muss er sich fragen lassen, weshalb er noch Jude sei.

Er antwortet er mit einem Gleichnis:

Nathan
Alabasterskulptur von Nathan der Weise, ~1900
Adolf Jahn (1858-1941) deutscher Bildhauer
"Ein Mann besitzt einen Ring, ein wertvolles Familienerbstück, das die Eigenschaft hat, seinen Träger vor Gott und den Menschen an-
genehm zu machen, wenn der Besitzer ihn in zuversichtlich trägt.
Über viele Generationen wurde dieser Ring vom Vater an jeweils
den Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Eines Tages jedoch
hat der Vater drei Söhne und will keinen davon bevorzugen. Des-
halb lässt er sich von einem Künstler exakte Duplikate des Rings
herstellen und vererbt jedem seiner Söhne einen der Ringe. Er
versichert jedem, sein Ring sei der echte. Nach dem Tod des Va-
ters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher
von den drei Ringen der echte sei. Außerstande, dies zu ermitteln,
erinnert der Richter die drei Parteien daran:"
"Der echte Ring hat die Eigenschaft, den Träger bei Gott und Menschen beliebt zu machen. Wenn dies bei keinem von euch drei Brüdern eingetreten ist, so ist der echte Ring wohl verloren gegangen."
"Die Frage, wann dies geschehen sein könnte, lässt der Richter offen, denn auch der geerbte Ring des Vaters kann bereits unecht gewesen sein. Er rät den Söhnen zum Abschied:
"Glaubt alle daran, dass euer Ring der echte ist. Euer Vater hat euch alle drei gleich gern gehabt und es deshalb nicht ertragen können, einen von euch zu begünstigen und tradi-
tionsgemäß die beiden anderen beiden zu kränken. Wenn einer der Ringe der echte ist, dann wird sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Bemühe sich jeder von euch Ringträgern, in seinem Leben von seinen Mitmenschen geliebt zu werden."
Inspiriert durch: ► Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) deutscher Philosoph, Kunstkritker, Publizist, Dramatiker,
bedeutender Dichter der deutschen Aufklärung, Ringparabel aus dem Theaterstück Nathan der Weise, 1779
Siehe auch: ► Weisheit

Unsaubere Wäsche

Ein junges Paar zieht in ein neues Stadtviertel. Am nächsten Morgen, während sie ihr Frühstück essen, sieht die junge Frau,
wie ihre Nachbarin draußen Wäsche aufhängt.

 

Wetter
"Die Wäsche ist nicht sehr sauber; sie weiß nicht, wie man richtig wäscht. Vielleicht braucht sie ein besseres Waschmittel."

Ihr Mann schaut hinaus und bleibt ruhig. Jedes Mal, wenn diese Nachbarin ihre Wäsche aufhängt, um sie zu trocknen, gibt die junge Frau die gleichen Kommentare von sich.
Einige Tage später ist die Frau überrascht, als sie eine schöne, saubere Wäsche auf der Leine zu sehen bekommt, und sagt zu ihrem Mann:

"Schau mal, sie hat endlich gelernt, wie man richtig wäscht. Ich frage mich, wer ihr das beigebracht hat?"

Der Mann erwidert:

"Ich bin heute Morgen früh aufgestanden und habe unsere Fenster geputzt."

 

Und so verhält es sich auch mit dem Leben […] Was wir sehen, wenn wir andere beobachten,
hängt davon ab, wie klar unsere Fensterscheiben sind, durch die wir sehen.

 

Quelle: ► Paulo Coelho (*1947) brasilianischer esoterischer Erfolgsautor, 10 Sekunden Lektüre.
Die Wäsche ist nicht sehr sauber
, präsentiert von der Publikation Gute Nachrichten, 11. April 2014
English original: ► 10 sec reading: the laundry is not very clean, 4. April 2014

Der Regenmacher und das Tao

In der Provinz Kiaochau in China, in der Richard Wilhelm wohnte, herrschte einmal eine schreckliche Dürre. Die Men-
schen hatten alles Mögliche unternommen, um Regen herbeizurufen, doch nichts wollte helfen. Schließlich wendeten sie sich an einen Regenmacher. Wilhelm war sehr interessiert und sorgte dafür, dass er anwesend war, als dieser, ein kleiner Greis mit faltigem Gesicht, in seinem verdreckten Wagen eintraf.

Regen
Starkregen einer Schauer­staffel über der Schwäbischen Alb,
August 2003

Der Regenmacher stieg aus dem Wagen und schnupperte sogleich mit deutlichen Anzeichen des Widerwillens in der Luft herum. Dann bat er, ihn für ein paar Tage in einer Hütte außerhalb des Dorfs allein zu lassen. Die Mahlzeiten sollten ihm vor die Tür gestellt werden.
Drei Tage lang sah und hörte man ihn nicht. Dann fing es nicht nur an zu regnen, sondern es fiel auch eine Menge Schnee, was für diese Jahreszeit äußerst ungewöhnlich war. Tief beeindruckt such-
te Wilhelm den Regenmacher auf und fragte in welcher Weise er Regen und sogar Schnee gemacht hatte. Der Alte antwortete:

"Ich habe den Schnee nicht gemacht.
Ich trage keine Verantwortung dafür."

Wilhelm drang weiter auf ihn ein und wies darauf hin, dass vor seinem Eintreffen eine große Dürre geherrscht hätte. Diesmal antwortete der alte Mann:

"Das kann ich erklären. Wo ich wohne, sind die Menschen im Gleichgewicht, sie befinden sich im Tao. Also ist auch das Wetter in Ordnung. Als ich hier ankam, sah ich, dass die Menschen aus dem Gleichgewicht waren und merkte, dass sie mich damit ansteckten. Also blieb ich allein, bis ich wieder im Tao war. Dann musste es natürlich anfangen zu schneien."
Quelle: ► Richard Wilhelm (1873-1930) bedeutender deutschsprachiger Sinologe, Theologe, Missionar, Übersetzer,
zitiert in: Karen Hamaker-Zondak (*1952) niederländische Jungsche Astrologin, Autorin,
Das 12. Haus. Die verborgene Kraft in unserem Horoskop, IRIS Bücher & mehr, 1. Oktober 2002
Siehe auch: ► Tao
See also: ► The Rainmaker calling in the Tao

Weisheit trifft wie ein Blitz.

Aspirant Gibt es die Weisheit der einen Minute?
Meister Die gibt es sicher.
Aspirant Aber eine Minute ist doch bestimmt zu kurz?
Meister Sie ist neunundfünfzig Sekunden zu lang.
Aspiranten [Verdutzt verstummt]
Meister Wieviel Zeit braucht man, um des Mondes ansichtig zu werden?
Aspirant Wozu dann die vielen Jahre geistigen Strebens?
Meister Es kann ein Leben lang dauern, bis die Augen geöffnet sind.
Es genügt ein Blitz, um zu sehen.
Quelle: ► Anthony de Mello SJ (1931-1987) indischer Jesuitenprieser, Psychotherapeut, spiritueller Lehrer, Autor, Eine Minute Weisheit, Herder, Freiburg, 1985, 2. Auflage 1998, 7. Auflage 1. Januar 2000
Siehe auch: ► Weisheit

Der dankbare Löwe – Fabel

Ein Löwe war in einen Splitter getreten. Die Stelle eiterte, und er begann zu lahmen.
Er begegnete einem Schafhirten. Mit dem Schwanz wedelnd, zeigte er sich sehr freundlich und hob seine verletzte Pfote hoch. Der Hirt fürchtete sich vor dem wilden Tier.

Löwen

Als der Löwe sich ihm näherte, bot er ihm ein Schaf an. Der zeigte sich nicht hungrig, sondern brauchte dringend eine Wundversorgung. So legte er seine Pfote in den Schoß des Hirten.
Der Hirte bemerkte die eiternde Wunde, nahm geistesgegenwärtig eine Ahle zur Hand und öffnete achtsam die Wunde. Zusammen mit dem Eiter floss auch der Splitter aus der Geschwulst.
Der Löwe fühlte sich erleichtert und leckte zum Dank für die Pflege dem Hirten die Hand mit seiner rauen Zunge. Eine Zeitlang verweilte er noch
in seiner Nähe, bis er heil und wohlgemut seines Weges zog.

 

Geraume Zeit später wurde der Löwe gefangen genommen, dessen lebendiges Futter in Arena im Amphitheater auf ihn wartete.
Der Hirt war indessen in einem Gerichtsverfahren zum Tod verurteilt worden und sollte den Löwen zum Fraß vorgeworfen werden.
Der Verurteilte wurde in die Arena geführt und der einst verletzte Löwe hereingelassen. Rasch stürzte sich dieser auf sein Opfer, bis er in ihm den Hirten wiedererkannte, der ihm seinerzeit geholfen hatte. Er näherte sich ihm langsam und verweil-
te kurz bei ihm. Dann umrundete er die ganze Arena, indem er den Blick auf die Zuschauer richtete und brüllte. Zurückge-
kehrt zu dem verurteilten Hirten wich er nicht mehr von dessen Seite. Nun begriff der Hirte, dass der Löwe ihn beschützte.
Erst dann fiel ihm ein, dass er genau diesen Löwen, der nun neben ihm saß, einst im Wald getroffen und behandelt hatte.
Zwei weitere Löwen kamen in die Arena, ohne den ersten Löwen bewegen zu können, von seinem Wohltäter zu weichen. Als das Publikum das sah, wunderte es sich und befragte den Hirten. Der Verurteilte teilte den Anwesenden mit, der Löwe sei sein Verbündeter, weil er ihn vor Jahren vom Schmerz befreit habe. Das Volk verlangte einmütig die Begnadigung des Hirten und des Löwen.
So wurden beide vermeintlichen Deliquenten freigelassen. Der Löwe kehrte in den Wald zurück, der Hirte zu seinen Ange-
hörigen.

Siehe auch: ► Das Wesen des Zauns

Franz Kafka, das Mädchen und die verlorene Puppe

Der jüdische Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924) liebte die Stadt Berlin. Als tuberkulosekranker Pensionär zog er im letzten Jahr seines Lebens von Prag nach Berlin-Steglitz, wo er auch zum ersten Mal in einer Partnerschaft lebte, mit seiner letzten großen Liebe. Er wohnte zusammen mit seiner Freundin, der Polin Dora Diamant (1898-1952).
Franz und Dora gingen gern im Steglitzer Park spazieren. Eines Tages trafen beide ein kleines weinendes Mädchen. Es schien ganz verzweifelt zu sein. Sie fragten das Kind nach seinem Kummer, das ihnen schluchzend gestand, es habe seine Puppe verloren.

 

Kruse

Der kinderlose Schriftsteller, gewöhnlich ein Einzelgänger, erfand so-
gleich eine plausible Geschichte, um das Verschwinden der Puppe zu erklären:

"Deine Puppe macht gerade eine Abenteuerreise. Ich weiß das, weil sie hat mir einen Brief geschickt hat."

Das kleine Mädchen fragte misstrauisch:

"Hast du ihn bei dir?"
"Nein, ich habe ihn zuhause liegen lassen, aber morgen
werde ich ihn dir mitbringen, wenn wir uns hier wieder
treffen. Einverstanden?"
,

antwortete Franz.
Nun war die Neugier des Mädchens geweckt. Sein Kummer war schon leichter geworden. Franz und Dora kehrten auf der Stelle nach Hause zurück. Er setzte sich an den Schreibtisch, um den ersten Brief der Puppe zu schreiben. Am nächsten Tag trafen sich Franz und die Kleine wieder im Park. Er zeigte ihr den Brief. Sie war aufgeregt. Da sie noch nicht lesen konnte, las Franz ihr den Brief vor.
Drei Wochen lang überbrachte Franz dem Kind die Briefe seiner Puppe, worin sie dem Kind ihre Reiseeindrücke schilderte. Die Puppe war nun schon größer geworden und ging in die Schule. Sie lernte neue Leute kennen. Immer wieder versicherte sie dem Mädchen ihre Liebe. Bald hatte das Mädchen den Verlust der geliebten Puppe überwunden. Stattdessen fieberte es jeden Tag dem nächsten Brief entgegen.
Als die drei Wochen vorbei waren, schrieb Franz Kafka, gewöhnlich ein ernster, schwermütiger Mensch, sein erstes und einziges Happy End am Ausgang einer Geschichte.
In ihrem letzten Brief erzählte die Puppe, sie habe einen Mann kennen gelernt und ihn geheiratet. Sie wohnten beide in
einer schönen, hellen Wohnung. Da sie nun als Verheiratete andere Pflichten zu erfüllen habe, so erklärte sie der Puppen-
mutti, sei es ihr nicht mehr möglich, zu dem Mädchen zurückzukehren.

 

✣ • ✣ • ✣ • ✣

 

Hinweis: Nach Kafkas Puppenbriefen wurde 1959 über ein Steglitzer Stadtteilblatt nur kurz gefahndet.
Weder die Briefe noch die Empfängerin wurden gefunden. 2001 hat der Kafka-Übersetzer Mark Harman
nochmals über die Medien versucht, sie ausfindig zu machen. Die Suche blieb erfolglos.

Nachempfunden: ► Geschichte von Dora Diamant, Hans-Gerd Koch, Herausgeber, Als Kafka mir entgegenkam. Erinnerungen
an Franz Kafka
, Kapitel "Mein Leben mit Franz Kafka", Seite 174-185, Wagenbach Klaus, Berlin, 1995, Mai 2000
Vorlage: Kafka als Ghostwriter, präsentiert von franzkafka.de, Fundstücke-Archiv
Dora Diamants Erinnerungen erschienen erstmals 1948 in englischer Sprache.
See also: ► Franz Kafka, the girl and the lost doll

Pinguine an Land und in ihrem Element

Diese Geschichte ist mir tatsächlich passiert. Ich war als Moderator auf einem Kreuzfahrtschiff engagiert. Da denkt jeder: "Mensch toll! Luxus!" Das dachte ich auch. Bis ich auf dem Schiff war. Was das Publikum angeht, war ich auf dem falschen Dampfer. Die Gäste an Bord hatten sicher einen Sinn für Humor, ich hab ihn nur in den zwei Wochen nicht gefunden. Und noch schlimmer: Seekrankheit hat keinen Respekt vor der Approbation. Kurzum: ich war auf der Kreuzfahrt kreuzunglücklich.

 

Pinguin
Unter Wassser schwimmender Humboldt-Pinguin

Endlich! Nach drei Tagen auf See, fester Boden. "Das ist wahrer Luxus!” In der Stadt Bergen ging ich in einen norwegischen Zoo. Und dort sah ich einen Pinguin auf seinem Felsen stehen. Ich hatte Mitleid: "Musst du auch Smoking tragen? Wo ist eigentlich deine Taille? Und vor allem: hat Gott bei dir die Knie vergessen?”
Mein Urteil stand fest: Fehlkonstruktion.

 

Dann sah ich noch einmal durch eine Glasscheibe in das Schwimmbecken der Pinguine. Und da sprang "mein" Pinguin ins Wasser, schwamm dicht vor mein Gesicht. Wer je Pinguine unter Wasser gesehen hat, dem fällt nix mehr ein. Er war in seinem Element! Ein Pinguin ist zehnmal windschnittiger als ein Porsche! Mit einem Liter Sprit käme der umgerechnet über 2500 km weit! Sie sind hervorragende Schwimmer, Jäger, Wasser-Tänzer! Und ich dachte: "Fehlkonstruktion!”
Diese Begegnung hat mich zwei Dinge gelehrt.

  1. Erstens: wie schnell ich oft urteile, und wie ich damit komplett daneben liegen kann.
  2. Und zweitens: wie wichtig das Umfeld ist, ob das, was man gut kann, überhaupt zum Tragen kommt.

 

Menschen ändern sich nur selten komplett und grundsätzlich. Wenn du als Pinguin geboren wurdest, machen auch sieben Jahre Psychotherapie aus dir keine Giraffe. Also nicht lange hadern: Bleib als Pinguin nicht in der Steppe. Mach kleine Schritte und finde dein Wasser. Und dann: Spring! Und Schwimm!
Und du wirst wissen, wie es ist, in Deinem Element zu sein.

Quelle: ► Dr. Eckart von Hirschhausen (*1967) deutscher Arzt, Moderator, Kabarettist, Schriftsteller, Die Pinguin-Geschichte,
MP3, 6:51 Minuten Dauer, präsentiert von dem Blogspot hirschhausen.com, Sparte Glück, undatiert

Lass dir deinen Traum nicht von Traumdieben stehlen

Ich habe einen Freund namens Monty Roberts, dem eine Pferderanch in San Ysidro gehört. Er ließ mich sein Haus benutzen, um Veranstaltungen zur Finanzierung von Programmen für gefährdete Jugendliche abhalten zu können.
Das letzte Mal, als ich dort war, stellte er mich mit den Worten vor:

Roberts
Der Pferdeflüsterer Monty Roberts
"Ich möchte erzählen, weshalb ich Jack mein Haus benutzen lasse. Es geht alles auf eine Geschichte über einen jungen Mann zurück, den Sohn eines umherwandernden Pferdedresseurs, der von Stall zu Stall zog, von Pferderennbahn zu Pferderennbahn, von Farm zu Farm und von Ranch zu Ranch, um Pferde zu dressieren. So wurde die High-School-Ausbildung des Jungen ständig unterbrochen. In der Oberstufe wurde er gebeten, einen Aufsatz darüber zu schreiben, was er werden und tun wolle, wenn er älter wäre.
Am selben Abend schrieb er einen sieben Seiten langen Aufsatz, die sein Ziel beschrieb, eines Tages eine Ranch zu besitzen. Er schrieb sehr ausführlich über seinen Traum und zeichnete sogar einen Plan einer zweihundert Morgen großen Pferderanch, der die Standorte der Gebäude, der Ställe und der Rennbahn zeigte."

 

Dann zeichnete er einen genauen Grundriss für ein vierhundert Quadratmeter großes Haus, das auf der Traumranch
stehen sollte. Er hängte sein Herz an das Projekt, und am nächsten Tag gab er die Arbeit bei seinem Lehrer ab.
Zwei Tage später erhielt er sie zurück. Auf der Vorderseite stand ein großes rotes F mit einer Notiz, die lautete:

"Komm nach der Stunde zu mir."

Der Junge mit dem Traum ging nach der Stunde zu dem Lehrer und fragte ihn:

"Warum habe ich ein F bekommen?"

Der Lehrer sagte:

"Dies ist ein unrealistischer Traum für einen Jungen wie dich. Du hast kein Geld. Du stammst aus einer Wanderar-
beiterfamilie. Du hast keine Rücklagen. Der Besitz und Unterhalt einer Ranch kostet viel Geld. Du musst das Land kaufen. Du musst den anfänglichen Zuchtstamm bezahlen, und später musst du hohe Zuchtgebühren bezahlen.
Es ist unmöglich, dass du das jemals schaffen könntest."

Dann fügte der Lehrer hinzu:

"Wenn du diese Arbeit mit einem realistischeren Ziel neu beschreibst, werde ich die Note noch einmal überdenken."

 

Der Junge ging nach Hause und dachte lange und angestrengt darüber nach. Er fragte seinen Vater, was er tun solle.
Sein Vater sagte:

"Sieh mal, Sohn, du musst das selbst entscheiden. Ich glaube allerdings, es ist eine sehr wichtige Entscheidung
für dich."

 

Nachdem er eine Woche lang überlegt hatte, überreichte der Junge dem Lehrer schließlich denselben Aufsatz, ohne
auch nur ein Wort daran geändert zu haben. Er erklärte:

"Sie können das F stehen lassen, und ich kann meinen Traum behalten."

 

Monty wandte sich dann an die versammelte Gruppe und sagte:

"Ich erzähle euch diese Geschichte, weil ihr in meinem Vierhundertquadratmeterhaus mitten in meiner Zweihundertmorgenranch sitzen. Diesen Aufsatz habe ich immer noch gerahmt über meinem Kamin hängen."

Er fügte hinzu:

"Der beste Teil der Geschichte ist, dass derselbe Lehrer im Sommer vor zwei Jahren dreißig Schulkinder auf meine Ranch brachte, um dort eine Woche lang zu zelten. Beim Abschied sagte mein ehemaliger Lehrer zu mir:
'Schau, Monty, ich sage dir jetzt etwas. Als ich dein Lehrer war, war ich so etwas wie ein Traumdieb. Damals habe
ich vielen Kindern ihren Traum gestohlen. Glücklicherweise hattest du genug Grips, deinen Traum nicht aufzugeben.'
"

 

Erlaube niemandem, deinen Traum stehlen. Folge deinem Herzen, was auch immer geschieht.

Quelle: ► Jack Canfield (*1944) US-amerikanischer Motivationstrainer, Autor, Mark Victor Hansen (*1948) US-amerikanischer Motivationssprecher, Trainer, Autor, Hühnersuppe für die Seele. Geschichten, die das Herz erwärmen,
Goldmann Verlag, 1993, Taschenbuchauflage 1. November 1996
Siehe auch: ► Vision und ► Effektive Nutzung von Emotionen – Pferdeweisheit und die Macht der Herde
See also: ► Don't hand over your dream to the dream stealers

 

Mein Ziel ist es, eine bessere Welt für Pferde und auch für Menschen
zu hinterlassen, als ich die, die ich seinerzeit vorgefunden habe.

Monty Roberts (*1935) US-amerikanischer Pferdetrainer, Rodeoreiter, Autor,
Mission Statement [Firmenphilosophie], 5. Dezember 2010

Die Säge schärfen

Bild

Ein Mann ging im Wald spazieren. Nach einer Weile sah er einen Holzfäller, der hastig und sehr angestrengt dabei war, einen auf dem Boden liegenden Baumstamm, zu zerteilen. Er stöhnte und schwitzte
und schien viel Mühe mit seiner Arbeit zu haben.
Der Spaziergänger trat etwas näher heran, um zu sehen, warum die Arbeit für den anderen so beschwerlich war. Schnell erkannte er den Grund und sagte zum Holzfäller:

"Guten Tag. Ich sehe, dass Sie sich Ihre Arbeit ganz unnötig schwer machen. Ihre Säge ist ja richtig stumpf – warum schärfen Sie sie denn nicht?"

Der Holzfäller schaute nicht einmal hoch, sondern zischte nur durch die Zähne:

"Keine Zeit! Ich muss sägen!"
Quelle: ► Stephen Covey (1932-2012) US-amerikanischer Professor für Business Management, Unternehmensberater, Erfolgsautor,
Die 7 Wege zur Effektivität. Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg, Gabal Verlag, Offenbach, Oktober 2005, 33. Auflage 2015

Der Skorpion und der Frosch

Ein Skorpion und ein Frosch begegnen sich am Ufer eines Flusses. Beide wollen das reißende Gewässer überqueren.

 

Der Skorpion ruft durch das Schilf

"Guten Tag, Herr Frosch! Wären Sie so freundlich, mich auf Ihrem Rücken übers Wasser zu tragen? Drüben habe ich wichtige Geschäfte zu erledigen. Wenn die Strömung derart stark ist, kann ich als Gliedertier allein nicht rüberschwimmen."

 

Sofort misstrauisch, antwortet der Frosch,

Skorpion
"Tut mir leid, Herr Skorpion. Auch wenn ich zu schätzen weiß, dass Sie auf der anderen Flussseite wichtige Geschäfte erwarten, bin ich nicht lebensmüde.
Falls ich Sie Huckepack nehmen sollte, werden Sie mich unweigerlich mit Ihrem gefährlichen Stachel stechen."

 

Bereits gewappnet auf die Absage des Frosches, wirft der schnellzüngige Skorpion ein:

"Mein lieber Herr Frosch, Ihre Bedenken sind durchaus vernünftig. Es liegt jedoch auf der Hand, dass Sie zu stechen, meinen Plan, jenseits des Flusses Geschäfte zu machen, vereiteln würde. Ich muss wirklich rüber und gebe Ihnen mein Wort, dass Ihnen kein Leid zugefügt wird."

 

Der Frosch überlegt kurz und stimmt dem Argument des Skorpions widerwillig zu:

"Ja, da haben Sie wohl recht. Nun denn, steigen Sie auf meinen Rücken!"

 

Ohne weitere Verzögerung begibt sich der Froschtransport ins Wasser. Zuerst scheint alles in Ordnung zu sein. Kaum dass das ungleiche Gespann die Mitte des Flusses erreicht hat, spürt der Frosch einen stechenden Schmerz. Eine tödliche Taubheit breitet sich in seinen Gliedmaßen aus. Aus dem Augenwinkel sieht er noch, wie der Skorpion seinen Schwanzstachel aus seiner Haut zieht.

"Sie Narr!",

krächzt der sterbende Frosch.

"Sie sicherten mir zu, mich nicht zu stechen. Jetzt, wo sie Ihr Versprechen gebrochen haben, müssen wir beide sterben!"

 

Der Skorpion tänzelt noch ein wenig auf dem Rücken des ertrinkenden Frosches. Bereits in den letzten Atemzügen antwortet er beiläufig,

"Herr Frosch, wie Sie ja wissen, bringen wir Skorpione den Tod, auch wenn wir ihn fürchten. Ich habe nur das getan, was in meiner Natur liegt."

 

Damit versinken der Frosch und der Skorpion unter der trüben Wellen des rasch fließenden Stroms. Keiner von ihnen ward je wieder gesehen.

 

Hinweis: ► Blogartikel Eine Fabel von B. Brecht: "Der Skorpion", präsentiert von froschmaeusekrieg.blogspot.com, 27. Mai 2013
Referenz: de.Wikipedia-Eintrag Die Fabel vom Skorpion und der Frosch (entstanden in den fünfziger Jahren)
Reference: en.Wikipedia entry Animal fable of The Scorpion and the Frog (~1950)
See also: ► The scorpion and the frog

Zündholz und Kerze – das Wagnis des Leuchtens

         Die Angst der Kerze          

 

Es kam der Tag, da sagte das Zündholz zur Kerze:

Kerze
Brennende Kerze im Kerzenständer
Ich hab den Auftrag, dich anzuzünden.
Oh nein,

erschrak die Kerze,

nur das nicht. Wenn ich brenne, sind meine Tage gezählt.
Niemand mehr wird meine Schönheit bewundern.

Das Zündholz fragte:

Willst du denn das ganze Leben lang kalt und hart bleiben,
ohne zuvor gelebt zu haben?
Aber brennen tut doch weh und zehrt an meinen Kräften,
flüsterte die Kerze unsicher und voller Angst.
Es ist wahr,

sagte das Zündholz,

Und genau das ist das Geheimnis der Berufung. Du und ich sind be-
rufen, Licht zu spenden. Was ich als Zündholz tun kann, ist wenig. Zünde ich dich jedoch nicht an, vergesse ich den Sinn meines Le-
bens. Ich bin vorgesehen dafür, Feuer zu entfachen. Du bist eine Kerze und kannst leuchten und Wärme zu schenken. Alles was du an Wut, Schmerz, Leid und Kraft (hin)gibst, wird sich in Licht ver-
wandeln. Du gehst nicht verloren, wenn du dich verzehrst. Andere werden dein Feuer weitertragen.
Wenn du dich jedoch versagst, bleibst du leblos, bleibt dein Potenzial verborgen.

Da spitzte die Kerze ihren Docht und bat mutig:

BITTE ZÜNDE MICH AN.
Quelle: ► Zeit zu leben
Siehe auch: ► Einsamkeit

Wie Abraham Lincoln seine Wut bezähmte

Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln, der zeitlebens mit seiner Depression zu kämpfen hatte, stellte sich während seiner Amtszeit dem Widerstreit von Dunkelheit und Licht – der sowohl in seinem Land als auch in seiner Psyche tobte.

Bild

An einem besonderen Gebetstag hatte er die Soldaten im Norden gebeten, auch für die Truppen in den Südstaaten zu beten. Seine Kritiker, die der Meinung waren, Lincolns Empfehlung untergrabe die Moral der Streitkräfte, ermahnte er:

"Es muss uns gelingen, menschlich zu bleiben, auch wenn wir uns im Krieg befinden."

 

Lincoln hatte einen seiner sehr seltenen Wutausbrüchen im "Soldiers Home", einem Landhäuschen auf einer Anhöhe, wo er über Emanzipationsproklamationen und weitere anstehende Regierungsgeschäfte nachdachte.
Ein Offizier, der in arger Bedrängnis war, weil seine Frau von einer Fähre in den Potomac-Fluss gefallen und ertrunken war, wandte sich direkt an Lincoln um Hilfe. Der Präsident reagierte wütend auf die unerwünschte Störung
:

"Warum behelligst du mich damit? Wende dich an einen Angestellten im Weißen Haus. Der soll sich darum kümmern!"

 

In der folgenden Nacht fand Lincoln die ganze Nacht lang keinen Schlaf. Er richtete sich im Bett auf und erkannte seinen Fehler. Am nächsten Morgen forschte er selbst nach, um die Adresse des Hotels zu ermitteln, in dem der Offizier untergebracht war. Er ließ sich unverzüglich zu dem Hotel bringen, klopfte an die Zimmertür seines Untergebenen und entschuldigte sich bei dem trauernden Mann. Daraufhin versprach er ihm:

"Wir werden deine Frau finden!"
See also: ► Stories and ► Anger

Falsches Silber

Ein reicher Mann, der ob seiner Hartherzigkeit weithin bekannt und gefürchtet war, kam zu einem alten Weisen auf Besuch.
Er klagte bitter über die Schlechtigkeit der Welt, über den Ärger und Verdruss, den ihm alle Menschen bereiten und über die täglich wachsenden Sorgen um die Erhaltung und Mehrung seines umfangreichen Besitzes.

 

Spiegelung
Mann, vielfach gespiegelt – Pixabay

Der Weise hörte ihn ruhig an, erhob sich dann schweigend von seinem Sitz und führte den Reichen zum Fenster des Zimmers.

"Was kannst Du durch dieses Fenster sehen?",

fragte der Weise.

 

"Ich sehe den Himmel, die Bäume und die Blumen,
die Häuser und Straßen und alle Menschen, die sie beleben."

Nach dieser Antwort des reichen Mannes nahm ihn der Weise sachte am Arm und führte ihn in das Zimmer zurück vor einen Spiegel, der an der Wand hing.

"Was siehst du jetzt?",

fragte er ihn.

 

"Ich sehe im Spiegel nur mich selbst",

antwortete der Reiche.

 

"Und weißt Du auch, woher das kommt?",

fragte ihn der weise Alte und erklärte:

"Beides ist Glas – das Fenster, wie auch der Spiegel. Doch hinter dem Glas des Spiegels ist Silber – und nur das Silber nimmt Dir den Blick auf die Welt: auf Himmel, Bäume, Blumen und Menschen – auf Deinen Nächsten. Deine Sorge um Dein Silber, um Deinen Besitz bewirkt es, dass Du nichts anderes siehst, als Dich selbst!"

Eine Geschichte über Respekt und Würde

Eine Gruppe von Mönchen lebte mit ihrem Meister in einem tibetischen Kloster. Sie führten ein diszipliniertes und engagiertes Leben in einer klösterlichen Umgebung, in der sie harmonisch und friedlich zusammenlebten. Die Menschen aus Dörfern in der nahen und fernen Umgebung besuchten gern das Kloster, um sich in der Wärme dieser liebevollen spirituellen Ausstrah-
lung zu baden und aufzuladen.

 

Eines Tages verließ der Meister seine irdische Gestalt. Anfangs behielten die Mönche ihren gewohnten Tagesablauf bei, so wie sie es bisher getan hatten, doch nach einiger Zeit wurden die Disziplin und die Hingabe schwächer. Die Zahl der tägli-
chen Besucher wurde allmählich geringer, und nach und nach verfiel das Kloster in einen verwahrlosten Zustand.

 

Bald stritten die Mönche untereinander, einige zeigten mit dem Finger auf andere, andere fühlten sich von Schuldgefühlen geplagt.

 

Schließlich konnte der älteste Mönch die feindselige Stimmung innerhalb der Klostermauern nicht mehr ertragen. Als ihm zu Ohren kam, dass ein spiritueller Meister nur zwei Tagesreisen entfernt als Einsiedler lebte, machte sich der Mönch sogleich auf, ihm einen Besuch abzustatten. Als er den Meister in seiner Waldkapelle antraf, erzählte ihm der Mönch von dem missli-
chen Zustand, in den das Kloster geraten war, und bat ihn um Rat.

 

Gloriole
Lehrer mit Gloriole unter Schülern

Der Meister lächelte.

"Es gibt einen unter euch, der die Verkörperung Gottes ist. Da die Menschen um ihn herum ihn
nicht respektieren, wird er sich nicht offenbaren,
und deshalb wird das Kloster zerrüttet bleiben."

Nach dieser Erklärung schwieg der Meister und fügte nichts
mehr hinzu.

 

Auf dem Heimweg zurück ins Kloster fragte sich der Abt, wer
von seinen Brüdern der Mensch gewordene Gott sein könne.

 

"Vielleicht ist es Bruder Jaspar, der für uns alle kocht."

sagte der Mönch laut. Schon eine Sekunde später dachte er,

"Nein, Bruder Jaspar kann es nicht sein. Er ist unor-
dentlich und schlecht gelaunt, und das Essen, das er zubereitet, schmeckt nicht."

 

"Vielleicht ist unser Gärtner, Bruder Timor, der Richtige."

vermutete er als nächstes, um auch diesen Gedanken alsbald wieder zu verwerfen.

"Natürlich ist er es nicht. Gott ist nicht so faul wie Bruder Timor. Bei Gott gäbe es kein vom Unkraut überwuchertes Salatbeet wie bei uns im Klostergarten."

 

Nachdem er jeden einzelnen seiner Brüder aufgrund dieser oder jener Unzulänglichkeit verworfen hatte, erkannte der ältere Mönch schließlich, dass er keinen mehr zur Auswahl hatte. Eingedenk dessen, was der Meister ihm gesagt hatte, war er beunruhigt. Einer seiner Mönchsbrüder musste doch der Gottmensch unter ihnen sein. Und schon hatte er einen neuen Einfall.

"Es könnte doch sein, dass der Heilige sich entschieden hat, sich fehlerhaft zu verhalten, um sich zu tarnen.
Gewiss, so könnte es sein. Es muss sogar so sein!"

 

Als er das Kloster erreichte, erzählte er seinen Brüdern unverzüglich, was der Einsiedler ihm enthüllt hatte. Und alle waren ebenso erstaunt wie er, dass der Göttliche unter ihnen weilte.

 

Da nun jeder wusste, dass nicht er selbst der Mensch gewordene Gott war, begannen alle Mönche, ihre Mitbrüder sorgfältig zu beobachten, um feststellen zu können, wer unter ihnen der Heilige war. Und doch konnte jeder nur die Fehler und Unvoll-
kommenheiten
der anderen erkennen. Falls Gott in ihrer Mitte war, hatte er alles daran gesetzt, sich zu verbergen.
Den Gottinkarnierten unter einem solchen Trümmerhaufen zu finden, erwies sich in der Tat als schwierig.

 

Nach vielen Diskussionsrunden beschlossen die Mönche schließlich einstimmig, sich von nun an zu bemühen, freundlich
und liebevoll miteinander zu verkehren und einander mit dem Respekt und der Ehrerbietung zu behandeln, die man selbstverständlich einem Gottmenschen entgegenbrächte. Wenn nun Gott darauf bestand, im Verborgenen zu bleiben,
dann hatten sie keine andere Wahl, als eben jeden Mönch so zu behandeln als wäre er der Heilige.

 

Alle Mönche im Kloster waren so sehr darauf bedacht, den Gott im anderen zu sehen, dass sich ihre Herzen schon bald mit großer Liebe füreinander füllten und die vorherige Feindseligkeit von ihnen abfiel. Im Lauf der Zeit sahen sie Gott nicht nur in ihren Brüdern, sondern in jedem und allem, was ihnen begegnete. Sie verbrachten ihre Tage in freudiger Würdigung und erfreuten sich über Seine Heilige Gegenwart. Das Kloster strahlte diese Freude wie ein Leuchtfeuer aus. Kurz darauf kehrten auch die Dorfbewohner zurück. Wie zuvor strömten sie durch das Tor und wollten sich von der Liebe und Hingabe, die dort zugegen war, berühren lassen.

 

Einige Zeit später beschloss der Bruder Abt, den Einsiedler ein weiteres Mal aufzusuchen, um ihm dafür zu danken, dass
er ihm und seinen Mitbrüdern das Geheimnis enthüllt hatte.

 

"Habt ihr herausgefunden, wer der Gottesmensch unter euch ist?"

fragte der Meister.

"Ja, das haben wir",

erwiderte der ältere Mönch.

"Wir haben erkannt, dass ER in uns allen wohnt."

Der Meister lächelte.

Referenz: de.Wikipedia-Eintrag 36 Gerechte
Referenz: ► Glossar Sechsunddreißig Gerechte, präsentiert von der deutschen Wochenzeitung Jüdische Allgemeine,
Noemi Berger, 25. Januar 2016
Siehe auch: ► Respekt und ► Würde und ► Geheimnis und ► Hingabe und ► Freude
See also: ► A tale on respect and dignity

Die weinende Kamelmutter

Eine Nomadenfamilie lebt mit ihrer Schafherde, Pferden und Kamelen in den Weiten der mongolischen Wüste Gobi.

Kamel
Verzweifelt versuchte ein neugeborenenes weißes Kamelkalb, von den Zitzen seiner Mutter zu trinken, doch die Tiermutter
stieß ihr Junges rüde weg. Angesichts der Tragödie erinnerten
sich die älteren Hirtennomaden an ein altes Heilungsritual, das sogenannte Hoos-Ritual. Sie beschlossen, einen geschulten Musiker aus der fernen Stadt holen zu lassen. Als der Geiger nach einer beschwerlichen Reise tatsächlich bei den Nomaden eintraf, spielte er vor der traumasierten Kamelstute und bewirkte ein Wunder. Mit den Klängen seines Instruments, einer Pferde-
kopfgeige, versetzte er das Muttertier in einen Trancezustand. Sie vergoss dabei Tränen, und ihre Starre löste sich allmählich auf. Befreit von ihrem Kummer, nahm sie ihr Junges wieder an, dessen Überleben nun gesichert.
Referenz: de.Wikipedia-Einträge ► Mongolisch/deutscher Dokumentarfilm Die Geschichte vom weinenden Kamel, 2003
Blogartikel: ► Die Geschichte vom weinenden Kamel, präsentiert von Maona.TV, Januar 2020
Trailer der wahren verfilmten Geschichte: ► Die Geschichte vom weinenden Kamel, 2:44 Minuten Dauer, eingestelt 10. Mai 2007
Reference: en.Wikipedia entry ► Mongolian / German documentary movie The Story of the Weeping Camel, 2003
Trailer of the true filmed story: ► The Story of the Weeping Camel: Song, YouTube film, 6:03 minutes duration, 4. January 2015

Hindernisse studieren auf zum Weg zum Wesentlichen

Ein Löwe wurde gefangen genommen und in ein riesiges Gelände verfrachtet, das von einem hohen Zaun umgeben war.

 

Löwe
Beobachtender Löwe in Namibia

Schon bald hatte er sich mit dem Leben in der Gemeinschaft mit den anderen Löwen vertraut gemacht, die schon geraume Zeit in dem eingezäunten Gelände zugebracht hatten. Die übrigen Löwen hatten sich in verschiedene Lager aufgeteilt und gingen ihren jeweiligen Neigungen nach.

 

  1. Eine Gruppe traf sich regelmäßig, um ihre Häscher zu hassen und zu verleumden.
  2. Eine andere Gruppe traf sich, um sentimentale Lieder über einen künftigen Urwald zu singen, in dem es keinen Zaun mehr geben würde.
  3. Eine dritte Gruppe von Verschwörern traf sich, um insgeheim Gewaltakte gegen die übrigen Gruppierungen auszuhecken.

 

Jede der Gruppen versuchte, den Neuling unter Druck zu setzen, ihren Ansatz näher kennen zu lernen und sich ihnen anzuschließen.

 

Der Neuzugang hielt sich gegenüber diesen Bemühungen allerdings bedeckt. Seine soziale Zurückhaltung hing damit zusammen, dass er einen bestimmten Löwen beobachtete, der sich selbst als Gesellschaft genügte und den Eindruck erweckte, tief in Gedanken versunken zu sein.

 

Der Neuling, dem der einzelgängerische Löwe aufgefallen war, näherte sich ihm und bat ihn um eine Erklärung, weshalb
er sich denn keiner Gruppe angeschlossen habe.

 

Halte dich nicht mit dem Gängigen auf. Diese närrischen Wesen hier unternehmen allerhand und doch
unterlassen sie das Notwendige. Ich beschäftige mich mit dem Wesentlichen, um eines Tages frei zu
sein. Wenn es dich interessiert, teile ich dir gern mit, was ich bisher entdeckt habe.

 

Was ist denn das Notwendige, das du tust?, fragte der Neue.

 

Lausche aufmerksam: ICH STUDIERE DAS WESEN DES ZAUNS.
Quelle: ► Inspiriert durch die Geschichte von Vernon Howard (1918-1992) US-amerikanischer
spiritueller Philosoph, Autor, There is a Way Out, New Life Foundation, Juli 2000
Siehe auch: ► Das Wesen des Zauns

Die Parabel vom Palast

An jenem Tag zeigte der Gelbe Kaiser dem Dichter seinen Palast. Hinter sich ließen sie in weiter Flucht die ersten west-
lichen Terrassen, die wie die Ränge eines sozusagen unabsehbaren Amphitheaters zu einem Paradies oder Garten nieder-
steigen, dessen Metallspiegel und dessen verschlungene Wacholdergänge bereits auf das Labyrinth vorausdeuteten. Heiteren Gemüts verloren sie sich in ihm, anfangs, als überließen sie sich einem Spiel, späterhin nicht ohne Unruhe, weil seine geraden Alleen einer sehr sanften, aber stetigen Krümmung unterlagen und insgeheim Kreise waren.

Peking
Kaiserlicher Sommerpalast in Peking, China

Gegen Mitternacht erlaubte ihnen die Beobachtung der Gestirne und das fällige Opfer einer Schildkröte, sich dieser Region, die verhext zu sein schien, zu entwinden, nicht jedoch dem Gefühl, verirrt zu sein, das ihnen bis
zum Ende treu blieb. Vorzimmer und Höfe und Biblio-
theken durchschritten sie sodann, auch einen sechs-
eckigen Saal mit einer Wasseruhr, und eines Morgens
erkannten sie von der Spitze eines Turms einen steiner-
nen Mann, der ihnen hernach für immer aus den Augen kam.
Viele glitzernde Ströme überquerten sie in Kanus aus Sandelholz, oder nur einen einzigen Strom viele Male. Das kaiserliche Gefolge zog vorbei, und die Menge warf sich zu Boden, aber eines Tages erreichten sie eine Insel, auf der einer nichts dergleichen tat, weil er den Sohn des Himmels noch nie gesehen hatte, und der Henker musste ihn enthaupten. Schwarze Haarmähnen und schwarze Tänze und künstlich gearbeitete Goldmasken sahen ihre Augen gleichgültig an; das Wirkliche vermischte sich mit dem Geträumten, oder – besser gesagt – das Wirkliche war nur eine der Bildungen des Traums. Es schien undenkbar, dass die Erde etwas anderes sein sollte als Gärten, Wasser, strahlende Bauwerke und Gestalten. Alle hundert Schritte zerschnitt ein Turm die Luft; so fein waren die Abtönungen und so lang die Reihe.

 

Am Fuß des vorletzten Turms geschah es, dass der Dichter (der diesen Schaustücken, die allen so wunderbar erschienen, wie fremd gegenüberstand) die kurze Verskomposition vortrug, die wir heute unauflöslich mit seinem Namen verbinden,
und dass sie ihm, wie von den gewandtesten Geschichtsschreibern reihum gesagt wird, die Unsterblichkeit und den Tod einbrachte.
Der Wortlaut ist verlorengegangen; von einigen wird behauptet, das Gedicht habe nur aus einem einzigen Vers bestanden, von anderen, aus einem einzigen Wort. Soviel steht fest, und dies eben ist das Unglaubliche, dass in dem Gedicht im ganzen wie im einzelnen der ungeheure Palast enthalten war, mit jeder einzelnen der berühmten Porzellanarbeiten und jedem Farbstrich auf jedem Porzellan und mit den Halbschatten und Lichtern der Dämmerungen und jedem unglücklichen oder glücklichen Augenblick der glorreichen Dynastien von Sterblichen, von Göttern und Drachen, die in ihm seit unvor-
denklichen Tagen gewohnt hatten.

 

Alle verstummten, aber Kaiser rief aus:

"Du hast mir meinen Palast entrissen",

und das eiserne Schwert des Henkers zerschnitt den Lebensfaden des Dichters.

 

Andere berichteten die Geschichte auf andere Art. In der Welt kann es nicht zwei vollkommen gleiche Dinge geben;
es genügte (sagen sie), dass der Dichter das Gedicht aussprach, und alsbald verschwand der Palast, wie ausgetilgt und zerschmettert von der letzten Silbe. Solche Legenden sind (natürlich) nichts weiter als literarische Erfindungen. Der Dichter war Slave des Kaisers und starb als solcher; sein Gedicht fiel in Vergessenheit, weil es vergessen zu werden verdiente,
und seine Nachkommen suchen immer noch, ohne es je zu finden, das Wort des Universums.

Quelle: ► Jorge Luis Borges (1899-1986) argentinischer Gesellschaftskritiker, Übersetzer, Dichter, Schriftsteller,
Karl August Horst, Übersetzer, Borges und ich. Gedichte und Prosa, Hanser Verlag, München, 1963

Die Früchte der Angst

            Der Tod und der Angstverbreiter            

Bild
"Der Sensenmann mit Stundenglas"
Grabplastik von August Schmiemann, Melaten-Friedhof, Köln, nach 1900

 

Ein Student auf Wanderschaft kommt an ein Stadttor.
An der Stadtmauer kauert der Tod.
Der Student fragt:

"Was hast du vor?"

Der Tod antwortet:

"Ich komme, um hundert Leute zu holen."

Der Student verkündet auf dem Marktplatz:

"An der Stadtmauer sitzt der Tod – er kommt, um hundert Leute zu holen.
Schützt euch, rettet euch!"

 

Die Aufregung ist groß, Hamsterkäufe beginnen, die Leute verbarrikadieren sich.
Es sterben 100, dann 500, 1000 – schließlich sind 5000 Tote zu beklagen.

 

Als der Student eine Woche später die Stadt verlässt, trift er wieder den Tod, der noch imer an der Stadtmauer sitze.
Der Student spricht ihn an:

"Was hast du getan? Du wolltest 100 Leute holen – jetzt sind 5000 tot."

Der Tod antwortet:

"Ich habe 100 Leute geholt – Alte, Kranke, Gebrechliche – so wie immer.
Die übrigen sind an der Angst gestorben – und die hast DU in die Stadt gebracht!"
Quelle: ► Eintrag Der Student und der Tod, präsentiert von dem Blogspot von
ilseluise (*1957) deutsche Gemeindepfarrerin, Krankenhausseelsorgerin, 12. Mai 2020

Glaubensprüfung im Hochwasser

Ein Mann sitzt bei Hochwasser in seinem Haus. Das Wasser steht bereits im Erdgeschoss. Der Mann betet zu Gott, auf dass er ihn retten möge. Kurz darauf kommt die Feuerwehr mit einem Rettungsboot und bittet ihn einzusteigen. Der Mann lehnt ab mit den Worten:
Hochwasser
Hochwasser, 2013
"Nein, nicht ihr, Gott wird mich retten!"
Unbeirrt betet er weiter. Einige Stunden später kommt die Feuerwehr erneut zu seinem Haus. Das Wasser steht in-
zwischen schon im ersten Stock. Wieder sagt der Mann:
"Nein, nicht ihr, Gott wird mich retten!"
Er lässt sich nicht erweichen und betet unverzagt weiter. Wieder vergehen einige Stunden. Das Wasser steht nun schon im Dachgeschoss. Noch einmal versucht die Feuer-
wehr, den Mann zu retten. Dieser bleibt bei seiner ablehnen-
den Haltung und antwortet:
"Nein, nicht ihr, Gott wird mich retten!"
Es kommt, wie es kommen muss. Der Mann ertrinkt im Hochwasser. Im Himmel angekommen, wendet sich der Mann vorwurfsvoll an Gott:
"Ich habe die ganze Zeit gebetet, dass du mich rettest. Aber du hast mich ertrinken lassen."
Gott antwortet mit ruhiger Stimme:
"Nein, mein Lieber, ich habe dich nicht im Stich gelassen. Ich habe dir dreimal die Feuerwehr vorbei-
geschickt. Leider hast du meine Sendboten verschmäht."

Der alte Brückenbauer, das Kind und der Regenbogen

"Du hast einen schönen Beruf",

sagte das Kind zum alten Brückenbauer,

Regenbogen
"es muss sehr schwer sein, Brücken zu bauen."
"Wenn man es gelernt hat, ist es leicht",

sagte der alte Brückenbauer,

"es ist leicht, Brücken aus Beton und Stahl zu bauen. Die anderen Brücken sind viel schwieriger",

sagte er,

"die baue ich in meinen Träumen."
"Welche anderen Brücken?",

fragte das Kind. Der alte Brückenbauer sah das Kind nachdenklich an. Er wusste nicht, ob es verstehen würde. Dann sagte er:

"Ich möchte eine Brücke bauen von der Gegenwart in die Zukunft, über Vergangenes hinweg. Ich möchte eine Brücke bauen von einem zum anderen Menschen, von der Dunkel-
heit in das Licht, von der Traurigkeit zur Freude. Ich möchte eine Brücke bauen von der Zeit in die Ewigkeit, über alles Vergängliche hinweg."

Das Kind hatte aufmerksam zugehört. Es hatte nicht alles ver-
standen, spürte aber, dass der alte Brückenbauer traurig war. Weil es ihn wieder froh machen wollte, sagte das Kind:

"Ich schenke dir meine Brücke."

Und das Kind malte für den Brückenbauer einen bunten Regenbogen.

Quelle: ► Anne Steinwart (*1945) deutsche Schriftstellerin, Eine Spur aus dem Licht. Der Hoffnung vertrauen,
PDF, Verlag am Eschbach, Verlagsgruppe Patmos, 1. Juni 2021

Vom Gewicht des Nichts

Eines Tages trafen sich eine Kohlmeise und eine Taube.

"Wie viel wiegt eine Schneeflocke?",
Kristall
Schneekristall vergrößert
Alexey Kljatov

fragte die junge Kohlmeise die weit gereiste und sehr erfahrene Taube.

"Nicht mehr als Nichts",

gab diese als Antwort.

"Da muss ich dir etwas Erstaunliches erzählen",

sagte die Kohlmeise.

"Ich saß einmal auf einem Tannenzweig, dicht am Stamm, und es fing an zu schneien. Nicht etwa heftig mit Sturm-
gebraus, nein, wie im Traum, lautlos und ohne Schwere. Es schneite den ganzen Tag und die ganze Nacht. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, zählte ich die Schneeflok-
ken, die auf die Zweige und Nadeln meines Astes fielen und darauf hängenblieben. Genau drei Millionen sieben-
hunderteinundvierzigtausendneunhudertzweiundfünfzig waren es.
Als aber die drei Millionen siebenhunderteinundvierzig-
tausendneunhundertdreiundfünfzigste Flocke niederfiel
– nicht mehr als Nichts, wie du sagtest, brach der Ast ab und fiel zur Erde. Durch das Gewicht einer einzigen Schneeflocke, die nicht mehr als Nichts wiegt!"
,

sagte die Kohlmeise.
Die Kohlmeise war damit am Ende ihrer Erzählung und flog davon.

 

Die Taube, die schon seit Noahs Zeiten Spezialistin in solchen Fragen war, dachte lange und sorgfältig über die Geschichte
der Kohlmeise nach und meinte schließlich:

"Vielleicht fehlt auch nur noch EINE einzige Menschenstimme zum Frieden der Welt."

 

Quelle: ► Kurt Kauter (1913-2002) deutscher Friedensaktivist, Autor, Also sprach der Marabu.
Neue Fabeln
, Greifenverlag, Rudolstadt, 1. Januar 1973

Der König und der Hofnarr

Es gibt eine alte Geschichte von einem König, der sich nach der Sitte der Zeit einen Hofnarren hielt. Diese Narren hatten das Recht, den Königen und Fürsten die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie bitter war. War sie zu bitter, dann hieß es einfach:

"Er ist halt ein Narr!"

Eines Tages schenkte der König dem Narren einen silbernen Narrenstab mit goldenen Glöckchen daran und sagte:

"Du bist gewiss der größte Narr, den es gibt. Solltest du einmal einen treffen, der noch närrischer ist als du, dann gib ihm diesen Stab weiter."
Hofnarr

Jahrelang trug der Narr diesen Stab – bis zu dem Tag, an dem er erfuhr:

"Der König liegt im Sterben."

Da hüpfte er ins Krankenzimmer und sagte:

"König, ich höre, du willst eine große Reise antreten."
"Ich will nicht, ich muss!",

erwiderte der König.

"Oh, du musst? Gibt es also doch eine Macht, die noch über den Großen dieser Erde steht. Nun wohl! Aber du wirst sicher bald wieder zurückkommen?"
"Nein,"

ächzte der König,

"von dem Land, in das ich reise, kehrt man nicht zurück."
"Nun, nun,"

meinte der Narr begütigend,

"gewiss hast du diese Reise seit langem vorbereitet. Ich denke, du hast dafür gesorgt, dass du in dem Land, von dem man nicht zurückkommt, königlich aufgenommen wirst."

Der König schüttelte den Kopf.

"Das habe ich versäumt. Ich hatte nie Zeit, diese Reise vorzubereiten."
"Oh, dann hast du sicher nicht gewusst, dass du diese Reise einmal antreten musst?"
"Gewusst habe ich es schon. Aber – wie gesagt – keine Zeit, mich um rechte Vorbereitungen zu kümmern."

Da legte der Narr leise seinen Stab auf das Bett des Königs und sagte:

"Du hast mir befohlen, diesen Stab weiterzugeben an den, der noch närrischer ist als ich. König! Nimm den Stab! Du hast gewusst, dass du in die Ewigkeit musst und dass man von da nicht zurückkommt. Und doch hast du nicht Sorge getragen, dass dir die ewigen Wohnungen geöffnet werden. König! Du bist der größte Narr!"
Quelle: ► Geschichte Der König und der Hofnarr, PDF, präsentiert von religruber.de, Unbekannt, undatiert

Lustige Geschichten

Jeder, Jemand, Irgendjemand und Niemand

Vier Kollegen namens JEDER, JEMAND, IRGENDJEMAND und NIEMAND
waren beauftragt, eine wichtige Arbeit zu erledigen.

JEDER war sicher, dass sich JEMAND darum kümmert.
IRGENDJEMAND hätte es tun können, aber NIEMAND tat es.

JEMAND wurde wütend, weil es JEDERS Arbeit war. JEDER
dachte, IRGENDJEMAND könnte es machen, doch NIEMAND wusste,
dass JEDER es nicht tun würde.

Schließlich beschuldigte JEDER JEMAND, weil NIEMAND tat,
was IRGENDJEMAND hätte tun können.

 

Unbekannter Autor

Siehe auch: ► Kommunikation und ► Humor

Was wäre wenn? Die Geschichte mit dem Hammer

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer.
Hammer
Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen.
Doch da kommt ihm ein Zweifel:
"Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will?
Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile.
Aber vielleicht war die Eile nur vorge-
schützt, und er hat etwas gegen mich.
Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein.
Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort.
Und warum er nicht?
Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen?
Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben.
Und da bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen.
Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht's mir wirklich."
' –

Und so stürmt er hinüber, läutet.
Der Nachbar öffnet, doch bevor er "Guten Tag" sagen kann,
schreit ihn unser Mann an:
"Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!"
Quelle: ► Paul Watzlawick (1921-2007) österreichisch-US-amerikanischer Kommunikationswissen-
schaftler, Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Soziologe, Philosoph, Autor, S. 37-38, Anleitung zum Unglücklichsein, Piper Verlag, München, Erstausgabe 1983, 1988, 15. Auflage November 2009
Siehe auch: ► Zweifel und ► Irrtum

Spirituelle Geschichten

Gottwärts

Ein Schüler fragte den Meister:

Wie kann ich Gott erlangen?

Der Meister ging mit ihm zum Meer, schritt mit ihm hinein und tauchte ihn unter Wasser.
Nach kurzer Zeit ließ er ihn wieder los und fragte:

Wie hast du dich gefühlt?

Der Schüler antwortete:

Ich glaubte, mein letzter Augenblick sei gekommen. So verzweifelt war ich.

Da antwortete der Meister:

Du wirst Gott schauen, wenn dein Verlangen nach ihm so inbrünstig ist wie deine Sehnsucht nach Luft in diesem Augenblick.

 

Weisheit aus China

Zitate – Kurze Geschichten / Lebensgeschichte

Bekenntnis

  • Ich halte mich nicht für weniger ignorant als die meisten Menschen. Ich war und bin immer noch ein Suchender, aber ich habe aufgehört, Sterne und Bücher in Frage zu stellen. Ich habe begonnen, auf die Lehren zu hören, die mir mein Blut zuflüstert. Meine Geschichte ist nicht angenehm; es ist weder süß noch harmonisch, wie erfundene Geschichten; Es hat den Geschmack von Unsinn und Chaos, von Wahnsinn und Träumen – wie das Leben aller Menschen, die auf-
    hören, sich selbst zu täuschen.
    Hermann Hesse (1877-1962) deutsch-schweizerischer Dichter, Schriftsteller, Nobelpreisträger für Literatur, 1946; zitiert in: Blog-
    eintrag Hermann Hesse Zitate zum Schreiben: Die komplette Sammlung, präsentiert von CJ McDaniel, 9. Februar 2022
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Das Mädchen in der Straßenbahn

  • Ich erinnere mich, dass ich in der Straßenbahn ein Mädchen mit großen schwarzen Augen anstarrte. Es hatte einen dicken, braunen Zopf und stand in meiner Nähe auf der hinteren Plattform. Es erschien mir wunderbar, geheimnisvoll und traurig, und ich überlegte verzweifelt, wie ich es ansprechen könnte. Unsere Blicke trafen sich, und ich bildete mir ein, ein winziges Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen. Dann stiegen am vorderen Eingang Soldaten – oder waren es Polizisten? – ein, mein Mädchen schaute sich wieder und wieder um und verließ, einem plötzlichen Entschluss fol-
    gend, die Tram. Beim Aussteigen verschob sich die Tasche, die sie an die Brust gedrückt hielt. Ich sah einen gelben Fleck und das Wort "Jude" in Schwarz darauf geschrieben. Ich wollte aussteigen, ihr nachlaufen, aber die Bahn fuhr schon wieder, und der Novemberregen klatschte an die Scheiben. Bei dieser Gelegenheit lernte ich ein Stück meiner eigenen Feigheit kennen, im erotischen und im politischen Sinn, und ich erinnere mich, dass ich damals in der Linie
    elf, die durch das Severinsviertel fuhr, mit Entsetzen notierte, was in mir war. Wer bin ich denn, wenn ich nicht einmal
    aus der Bahn steigen und einem unbekannten Menschen, der mein Herz bewegt, nachlaufen kann?
    Dorothee Sölle (1929-2003) deutsche evangelische feministische Befreiungstheologin, Pazifistin, Referentin, Schriftstellerin, ge-
    schrieben im Alter von vierzehn Jahren, zitiert in: Hans-Martin Lübking, Persönlich genommen. Ein Andachtsbuch, S. 268, Gü-
    tersloher Verlagshaus, 22. August 2011

 

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Weisheit des Straßenkehrers Beppo

  • Es ist so: "Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man auf-
    blickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt.
    Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst zu tun und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss immer nur an den näch-
    sten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein. Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze
    Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig."
    Michael Ende (1929-1995) deutscher Schriftsteller, Märchenroman, Momo. oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem
    Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte
    , K. Thienemann Verlag, 1973, Piper, München, November 2010

 

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Kurzlebige Fakten versus beseelte Geschichten (Mythen)

Fakten befrieden den Verstand (vorläufig). Beseelte Geschichten nähren das Herz und die Seele. Sie heilen.

  • Etwa alle zwanzig Jahre überholen die Fakten des einen Weisen die Fakten des anderen und beide Fassungen waren keine Tatsachen. Auch wenn beide [Verkünder] seinerzeit als die gescheitesten Menschen der Welt galten, wurden ihre Botschaften dennoch letzten Endes ab absurdum geführt.
    Das Leid, das die Besessenheit mit »Fakten« unbescholtenen Männern und insbesondere Frauen beschert hat, ist groß!
    Die Kanzlerin sagt etwas, also ist es Fakt. Ihr Regime (und die Regierungspresse) wiederholt es brav, es ist ein »Faktencheck«. Die Stimmen aller anderen Deutschen werden
    a) ignoriert,
    b) als Fake-News abgestempelt oder
    c) in eine Schublade gesteckt und dort für immer weggesperrt.
    Gerade in dieser unhaltbaren Lage leben Mythen ewig, weil die Menschen sie ins Herz schließen, sogar nach ihnen verlangen trotz endloser Gegenargumente im Kopf. Fakten machen uns zu Erwachsenen im schlimmsten Sinne des Wortes: ♦ Anpassung gegen ein Auskommen, ♦ Krankenversicherung und ♦ die Anerkennung von Leuten, auf die es nicht ankommt und die es häufig nicht schert.
    Erfundene Geschichten wirken unvergleichlich stärker als wahre. Obwohl unterdrückt und vergessen, schlum-
    mert in jedem deutschen Herzen die Sehnsucht nach beseelten Geschichten.
    Blogeintrag von William Toel (*1945) US-amerikanischer germanophiler Professor für Wirtschaft, Finanzen und Marketing, Send-
    bote Gottes, Rediscovering the romantic heart [Die Wiederentdeckung des romantischen Herzens], 2. Oktober 2020

 

Referenzen: de.Wikiquote-Einträge Erzählung und ► Story und ► Fiktion und ► Gleichnis

Die Elemente einer guten Geschichte

UNFERTIG

  • Das Unmögliche ist die Regel im Märchen. Nur unser Verstand kann die Ganzheit des Lebens, die paradox ist,

nicht begreifen, indem er immer nur entweder-oder kennt. [...] Wer hat schließlich wen erlöst?
Wieder haben zwei Hälften zusammengearbeitet.
Die Seele spielt Schicksal, das Bewusstsein muss reagieren.

Ulla Wittmann, deutsche Autorin, Ich Narr vergaß die Zauberdinge. Was Märchen für das eigene Leben bedeuten, Herder Verlag, S. 157, 1995

 

Der US-amerikanische Lehrer für kreatives und Drehbuchschreiben, Berater für Filmproduzenten, Drehbuchautor und Autor Robert McKee
(*1941) hat in seinem Standardwerk Story. Grundlagen des Drehbuchschreibens [1997], Alexander Verlag, 7. unveränderte Auflage, 2011 folgende entscheidenden Elemente einer guten Geschichte (Story, Plot) in knackigen Sätzen formuliert:

 

  • Die Geschichte lebt von Prinzipien, nicht von Regeln.

Die Geschichte verlangt Originalität, keine Abziehbilder.
Die Geschichte handelt von Archetypen, nicht von Stereotypen.
Die Geschichte dreht sich um zeitlose, universelle Erscheinungsformen, nicht um Formeln.
Die Geschichte gewinnt durch umfassende Gründlichkeit, nicht durch verkürzende Schludrigkeit.
Die Geschichte dreht sich um Einblicke in das echte Leben, nicht um ausgebuffte Schreibkunst.
Die Geschichte verlangt Meister der Schreibzunft, keine Mutmaßungen über die Film- und Literaturbranche.
Die Geschichte respektiert
das Publikum und hütet sich davor, es geringzuschätzen.
Geschichten verkörpern das kreative Umgestalten des Lebens an sich in eine kraftvollere, klarere und sinnstiftendere Erlebniswelt.
Geschichten sind die Währung des menschlichen Zusammenseins.
Geschichten offenbaren die Art und Weise, wie wir lernen

 

Geschichtenerzählen ist das wirkungsvollste Mittel, um Ideen in die heutige Welt zu bringen.

 

Nach 34 Jahren Recherche veröffentlichte der britische englische Journalist und Autor Christopher Booker (1937-2019) sein Buch The Seven Basic Plots. Why We Tell Stories
[Die sieben wesentlichen Handlungsschemen in erzählten Geschichten] im Jahr 2006.
Es ist inhaltlich angelehnt an Carl Gustav Jungs Archetypen-Lehre, die aufzeigt, welche sieben grundlegenden dem Leben dienlichen archetypischen Kennzeichen in Geschichten vorkommen.

 

Lebens- oder Heldenreise als Visionssuche –– Fall des Helden
Lebens- oder Heldenreise als Reise und Rückkehr –– Moralische Wiedergutmachung
Tragödie –– Rache
Komödie –– Immerwährende Liebe
Von Armut zu Reichtum –– "Barfuß oder Lackschuh"
Überwindung des Ungeheuers –– Widrige Umstände überstrahlen
Wiedergeburt –– Erlösung aus irrtümlicher Identität

 

Siehe Referenz (SpiritualWiki): ► Sieben Handlungsschemen in Geschichten

 

Gelungenes Storytelling spricht die Gefühle und das Unterbewusstsein der Empfänger, Zuschauer und Leser an.

 

Spannungsbogen von Geschichten

  1. Interesse wecken
  2. Spannung aufbauen
  3. Handlung ausbauen
  4. Frappierender (paradoxer) Ausgang

 

In seiner Schrift Poetik definiert Aristoteles den Handlungsverlauf der drei Arten von Geschichten
- der Tragödie,
- dem Epos und
- der Komödie
als poetische Nachahmung der Wirklichkeit mit den Elementen
❁ Vergnügen,
❁ Bildung und Erziehung,
❁ Läuterung, Reinigung und (Auf)Klärung,
❁ Glückseligkeit und Entspannung.

 

Nach Aristoteles baut sich eine Geschichte (überwiegend) in drei Akten auf:

  1. Erster Akt (Anfang) –– Konfliktzuspitzung
  2. Zweiter Akt (Mittelteil) –– Wende- und Höhepunkt (Katharsis)
  3. Dritter Akt (Ende) — Konfliktauflösung

 

Jede Geschichte weist drei Konstanten auf:

1. der Held/Heldin (Protagonist/in),
2. der Handlungsort und
3. die Handlung.

 

Das fünfteilige Handlungsschema einer Geschichte nach dem Dramatiker und Autor Gustav Freytag beinhaltet:

1. Einleitung, 2. Steigerung, 3. Höhepunkt, 4. fallende Handlung, 5. Lösung

 

  • Exposition: Vorstellung aller Charaktere (Hauptfiguren, Spieler und Gegenspieler), Örtlichkeiten und den Auslöser für den Konflikt
  • Handlungssteigerung: Konfliktstaffelung –


    Weitere Komplikationen verhindern die zu schnelle Auflösung des Problems.

  • Klimax: Der Höhepunkt einer Geschichte ist der spannendste Teil.


    Wie bei Aristoteles wird hier der Konflikt auf die Spitze getrieben.

  • Handlungsabfall: Die Spannung flacht allmählich ab.


    Nachwirkungen des Höhepunkts werden aufgedeckt.

  • Auflösung: Der zentrale Konflikt wird aufgelöst.


    (bspw. Heirat der Protagonisten, Ende gut - alles gut)

 

Es war einmal … (der Held)
Jeden Tag … (die gewohnte Umgebung)
Doch eines Tages … (plötzlich eintretendes dramatische Ereignis)
Daraufhin … (der Held stellt sich dem Konflikt)
Und dann … (die Heldenreise)
Bis zuguterletzt … (Auflösung / Lösung)

 

Was motiviert uns Menschen, anderen Geschichten zu erzählen (viral zu verbreiten)?
❁ Altruismus und Hilfsbereitschaft
❁ Selbstfindung und Reflexion
❁ Profilierung und Selbstdarstellung
❁ Kontaktaufbau und Kontaktpflege

 

Quelle: ► Beitrag Was gehört zu einer guten Geschichte?, präsentiert auf der kalifornischen Frage-und-Antwort Webseite Quora DE, Salon Schöne Kurzgeschichten, Elfriede Ammann, 21. September 2019

 

Links zu Geschichtensammlungen / Story collections

Externe Weblinks


  • Geschichtensammlung Geschichten, präsentiert von Siegfried Essen, undatiert

External web links (engl.)


Excerpted from: A Christmas Carol, Chapman & Hall, London, 19. December 1843

Audio- und Videolinks

Audio and video links (engl.)

 

Interne Links

Englisch Wiki

Hawkins

Englisch Hawkins

 

 

1 Ein Kellion ist ein kleines Kloster der orthodoxen Kirche.

2 Saladin (1137-1193) kurdischstämmiger erster Sultan von Ägypten, ab 1171 und Sultan von Syrien, ab 1174

 

Letzte Bearbeitung:
02.12.2024 um 17:38 Uhr

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